Unterseen: Statthalter stützt Schindluderei

Wohlgemerkt: Vielerorts herrschen Zustände, die unsere Verhältnisse als paradiesisch erscheinen lassen – und damit Kritik an hiesigen Verhältnissen als kleinlich.

Der Gemeindepräsident

Nun lebe ich allerdings hier, und wie meine Eltern und meine Grossmütter Linder und Abplanalp und meine Grossväter Kienholz und Grunder bin ich mit freundeidgenössischen Überzeugungen aufgewachsen und durchs Leben gegangen: Tue recht und scheue niemand!

Schon als ich an einer meiner ersten Gemeindeversammlungen in Adelboden das Wort ergriff und einerseits mein Verständnis für die Familien der Carchauffeure äusserte, die in Konvois durchs Dorf auf Geils dröhnten, andererseits jedoch der Sillernbahn als unverzichtbar das Wort redete, kam das nicht gut an: Gemeindepräsident Aellig schnitt mir bald das Wort ab und rief mich zur Ordnung – nicht in der Sache, sondern persönlich.

Als die «Woche im Berner Oberland» ein paar Jahre später niemand fand, der öffentlich die Abschaffung der Armee befürwortete, stellte ich mich für ein Streitgespräch mit Nationalrat Seiler zur Verfügung, argumentierte zur Sinnlosigkeit einer klassischen Armee, weibelte für eine allgemeine Dienstpflicht und riet dazu, die bestehenden Strukturen namentlich in erneuerbare Energien zu stecken. Natürlich stand ich auf verlorenem Posten – nicht in der Sache, sondern persönlich.

Alptraum Amthaus Unterseen.

P26

Als die SonntagsZeitung mich als Reporter einmal ins AC-Zentrum schickte, wo P26 und Konsorten eine Versammlung hatte, meldete ich mich ordnungsmäss in Spiez an und sprach im Vorfeld unter anderem mit dem Chef dort, der mir gegenüber meinte, nichts von der P26-Veranstaltung zu wissen. Indes war da ein Anlass, und ich setzte mich in den Saal, in dem gerade Peter Regli sprach.

In der Pause kam Regli auf mich zu, fragte mich, wer ich sei, und befahl mir dann in Anwesenheit eines Offiziers der 36er, den Ort zu verlassen. Ich explodierte – nicht persönlich, sondern in der Sache: Im Gegensatz zu seinem Verein sei ich ordnungsgemäss beim Chef gemeldet, herrschte ich ihn vaterländisch an, im Übrigen gehöre die Anlage mir so gut wie ihm, und im Angesicht eines 36ers, der neben mir stehe und in dem schon mein Grossvater Aktivdienst geleistet habe, sei sein Verhalten eine bodenlose Frechheit.

Nutzlose Ernsthaftigkeit

Ich nehme das zu ernst, sagten mir einmal die Herausgeber einer Zeitung, bei der ich arbeitete, deshalb sei ich nicht geeignet als Chefredaktor. Ich verstand sie nicht, und sie konnten mir auch nicht wirklich erklären, was sie meinten.
Inzwischen glaube ich zu wissen, was sie gemeint haben: Staatsbürgerliche Verantwortung ist etwas für naive Gutmenschen und für geduldige Papiere – in der wirklichen Welt herrscht das Recht derjenigen, die es benutzen und auslegen können und dürfen.

Unterseen: eisige Stimmung in pittorsken Fassaden.

Die Herrschaft des Rechts

Im Rechtsstaat geht es mithin offensichtlich systemisch nicht darum, im Sinne von Hobbes oder Locke nach möglichst viel Gerechtigkeit zu streben, sondern denjenigen Recht zu geben, die das Sagen haben: In menschenverachtenden Diktaturen wie China oder Russland ist diese Herrschaft des Rechts für die Herrschenden selbstverständlich. Ich aber war so naiv zu glauben, es gehe im Staat so gut wie in der Familie um Gerechtigkeit – und ich habe das ernst genommen.

Der Regierungstatthalter Interlaken-Oberhasli, mit dem ich einst zur Schule gegangen bin, Musik gemacht und mich politisch und publizistisch mit «Druck» ins Zeug gelegt habe, hat mir jetzt wortreich und -klauberisch gezeigt, wie der Staat offensichtliches Unrecht zu Recht macht: Zwar hatten mir der Gemeindepräsident von Unterseen und sein Vize persönlich gesagt, sie würden ihren Spielraum ausnützen.

Systemischer Unsinn

Aber dass die einzige Aufsichtsbehörde dieser Herrschaft nichts tut, um ein atemberaubendes Bündel von staatsbürgerlicher Verantwortungslosigkeit und persönlicher Unverschämtheit zu untersuchen, sondern staatspolitisch unerträgliche Vorgänge und Verhaltensweisen gar wortreich deckt: Das haut mich um – nicht persönlich, sondern politisch.

Um einen Apparat widerstandsfähig und stark zu machen und sein Funktionieren sicherzustellen, braucht es Skepsis und Herausforderung. Eine Aufsichtsbehörde muss also einer Institution, die sie beaufsichtigt, möglichst kritisch begegnen. Nur so kann die Institution über jeden Zweifel erhaben bleiben und ordnungsgemäss das tun, was sie soll.
Das ist ein systemischer Ansatz: Daran gibt es nichts zu rütteln. Mithin bedeutet er auch, dass eine affirmative Haltung der Aufsichtsbehörde die Institutionen systemisch schwächt.

Ich bin fertig, fix und fertig.

Statthalterentscheid: systemischer Unsinn und Wasser auf die Mühlen von Missbrauch.

Hier sind die Unterlagen zur aufsichtsrechtlichen Anzeige gegen den Gemeinderat Unterseen, bedient wurden damit die örtlichen Parteipräsidien.

1 Kommentar

  1. Unterseen: Statthalter stützt Schindluderei
    (Achtung Satire!)
    Lieber Peter (nix für sture Deutschlehrer, vielleicht aber was für dich)
    Da gab’s doch einiges zu lesen. Allein der Entscheid des Regierungsstatthalters (RSH) umfasst 12 Seiten. Ein durchaus fleissiger Mann, also. Trotzdem beschleicht mich der Eindruck als sei die Beschwerde im Sinne einer Shakespearschen Komödie beurteilt und abgefertigt worden: Much Ado About Nothing (Viel Lärm um nichts).
    Resümierend schreibt der RSH, dass eine aufsichtsrechtliche Untersuchung nur dann
    eröffnet wird, wenn der Verdacht besteht, dass die Verwaltung durch rechtswidriges
    Verhalten der Gemeindeorgane – Achtung!, jetzt kommt’s: „ernsthaft“ gestört oder gefährdet wird….
    Ja was nun? Wie bitte darf ich das denn verstehen?
    Ernst-haft stören geht also gar nicht – aber stefanhaft dann schon? Vetterli hansuelihaft und Freunderl waltihaft ist auch OK? Oder gar noch Consigliere tinelhaft?
    Ich möchte somit allen Jüngst- und Zukunfts-Eltern im Stedtli ans Herz legen, die Namensgebung ihres Sprösslings, sei es denn ein Bübchen, gut zu bedenken: Welcher Vornamen später im Leben in 3800 U dienlich sein könnte steht adjektivisiert weiter oben. Ein weiterer Vorschlag wäre zum Beispiel auch noch Stümper – wieso nicht!? Aber auf gar keinen Fall Frevel, Zwang oder eben Ernst – wenn schon, dann gleich mit Lokalkolorit Aschi! (reimt sich auf Juristen-Wischiwaschi).
    Immer noch ernsthaft konsterniert: Kranz

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