Warum die Unvernunft regiert

Vor rund 30 Jahren oder einer Generation haben wir in der Schweiz über die Abschaffung der Armee abgestimmt. Im Vorfeld wollte eine Berner Oberländer Gratiszeitung ein Streitgespräch organisieren und kontaktierte mich: Sie hätten Mühe, eine befürwortende Stimme zu finden, ob ich mich mit Hanspeter Seiler an einen Tisch setzen und die Initiative verteidigen wolle?

Meine Position war etwas eigen, stand ich doch hinter einer allgemeinen Dienstpflicht auch für Frauen, war aber für die Abschaffung der Armee – das vertrete ich bis heute. Im Streitgespräch mit dem damaligen Nationalrat Seiler argumentierte ich unter anderem, eine klassische Armee habe etwa angesichts der Bedrohungslagen und der nuklearen Waffensysteme keinen Sinn, und warb dafür, die Ressourcen der Armee etwa im Grossraum Thun stattdessen in Solartechnologien zu stecken.

Kein Prophet, nur kindliche Vernunft

Seiler bezeichnete das als Utopie, doch ich gehe davon aus, dass viele schon damals wussten, dass meine Position vernünftig war. Aber es konnte nicht sein, was nicht sein durfte – Ähnliches gilt für meine damalige Anregung, die Schweizer Landwirtschaft auf biologisch umzustellen und sich damit einen nachhaltigen Vorteil zu schaffen, auch im Wettbewerb.

Nun bilde ich mir keineswegs ein, ein Prophet zu sein: Es geht schlicht um Vernunft. Ein weiteres altes Beispiel ist der Mystery Park. Als Journalist merkte ich bald, dass der Ansatz von Erich von Däniken und Oskar Schärz nicht funktionieren konnte. Damit stand ich in diesem unvergesslichen und unglaublichen Wirbel, den beispielweise auch Hanspeter Seiler oder Adolf Ogi mitmachten, ziemlich alleine da. Dies übrigens auch, weil ein grosser, im Oberland präsenter Medienkonzern als Medienpartner des Parks Partei war – eine journalistisches Todesurteil, das damals niemand ernsthaft hinterfragte, und heute schon gar nicht mehr.

Meine kritische Position zum Mystery Park kam nun nicht etwa von mir, sondern von Fachleuten, die die Initianten selbst zwecks Einschätzung nach Interlaken holten und mit denen auch ich Kontakt suchte. Diese Spezialisten, darunter etwa ein bestandener Planer und Architekt von Freizeitparks in den USA, legten dar, warum in Interlaken ein solcher Themenpark kaum Chancen hatte – wieder schlichte Vernunft.

Nach dem schnellen Scheitern, das rund 100 Millionen teilweise öffentliche und korporatistische (z.B. Vorsorgeeinrichtungen wie die Hotela) Franken gekostet haben dürfte, fragte ich Oskar Schärz, warum denn gegen den Rat dieser Fachleute gehandelt worden sei: Sie hätten halt beweisen wollen, dass sie es doch könnten, erklärte mir Schärz – wenn nicht sein kann, was nicht sein darf, aber umgekehrt.

Rechthaber sind unangenehm

Dass mir ein Unterseener Gemeindepräsident in der Folge vorhielt, genau wegen kritischer Stimmen wie meiner sei der Park gescheitert, weist den weiteren Weg der Unvernunft: Wie wohl Spinoza am vernünftigsten und kompliziertesten dargelegt hat und Mani Matter am schlagendsten, ist die Welt so perfid, dass sie sich selten nach Bildern richtet, die wir von ihr machen.

Deshalb biegen wir einerseits unsere Argumente und unsere Welt so zurecht, dass sie zu unseren emotionalen und materiellen Neigungen und Sachzwängen passt. Dabei setzen sich selbstredend die starken Kräfte durch und nicht die vernünftigen – von Kanzeln und Kathedern können wir noch lange dagegen anpredigen (immerhin gibt mancherorts Rechtsstaatlichkeit, was halt auch den Starken dient, wenn sie untereinander ringen).
Andererseits wird, wer Recht gehabt hat, mithin nicht ernster genommen, sondern im Gegenteil von den Starken schlechtgemacht – ein ähnliches Phänomen wirkt bei Whistleblowern.

Dennoch sei an dieser Stelle vorab mit Blick auf die Jungen an die Überlegenheit der sozusagen kindlichen Vernunft erinnert – auch als scharfer Gegensatz zur kindischen Erwachsenenwelt mit ihrem sozialverbrämten Machtbrimborium, das zurzeit von Putin über Johnson bis Trump beispielhaft vorgeführt wird.

Dringender, geblockter Handlungsbedarf

Zwecks Illustration hier ein paar Beispiele von Vernunft und von Unvernunft, die keine Zukunft hat und teilweise nicht mehr lange sein darf, auch wenn sie für viele sein soll oder muss:

  • Fossile Ablagerungen als Brennstoff verschwenden oder Atome lebensgefährlich spalten, statt die Energie der Sonne möglichst direkt umsetzen.
  • Drogenverbote verfolgen statt potenzielle Rauschmittel und ihr Umfeld regulieren.
  • Rentensysteme an Löhne koppeln statt an Wertschöpfung.
  • Das Gesundheitswesen als Markt organisieren statt als gemeinwirtschaftliche Versicherung.
  • Menschen besteuern statt Geld.
  • Öffentliches Geld für landwirtschaftliche Absatzförderung unter anderem für Fleisch ausgeben statt nachhaltige Landwirte unterstützen.
  • Tiere töten, um Fleisch zu essen, wird wahrscheinlich eines Tages ebenso unvorstellbar sein wie inzwischen das Rauchen im Restaurant oder politische Rechte nur für Männer.

Ich kann ein Lied davon singen

Um die Angelegenheit gewissermassen erkenntnistheoretisch abzurunden, zum Schluss noch dies:

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