Der freien Presse folgt Propaganda

Er sei „Weissraum-Verkäufer“, pflegte Heinz vom Verlag an der Zürcher Blumenfeldstrasse manchmal zu sagen. In meinen Ohren klang darin ein ähnlicher Stolz an wie etwa 25 Jahre zuvor bei Bracher: wenn der Fachmann in den Untergeschossen des Bund-Hauses an der Berner Effingestrasse von seinem Beruf sprach. Bracher war Metteur, er schnitt auf einer grossen Tafel mit einem scharfen Messer in hohem Tempo Abschnitte von Artikelschnipseln zu Zeitungsartikeln zusammen.

Im Web habe ich zu meinem Erstaunen auf Anhieb keine Fotos von Metteuren gefunden: Den Beruf gibt es nicht mehr – und mehr als zweifelhaft scheint mir, ob es noch Fachleute gibt, die mit einem gewissen Berufsstolz davon sprechen, „Weissraum“ zu verkaufen.

Mettage, ein verschwundenes Handwerk. Foto Wikipedia

Während die Massenmedien in der letzten Generation unter ständigem Trommeln alles erfasst und durchdrungen haben, sind Metteure und Weissraumverkäufer still und leise verschwunden. Im massenmedialen Getöse war dieser Verlust nicht wirklich ein Thema. Und genausowenig war es ein Thema, was politisch damit verbunden war und ist: was es insbesondere für die Organisation der Gesellschaft bedeutet, wenn Weissraum verschwindet.

Verschwundene Berufe, verschwundenes Modell

Der Verlust ist gravierend, er ist beunruhigend, und er erinnert an die Prognose des ebenso grossen wie vergessenen Medienphilosophen Marshall McLuhan aus der Mitte des 20. Jahrhunderts: Der Staat werde nach und nach verschwinden mit dem Aufkommem des elektronischen Zeitalters und dem damit verbundenen Ende der Druckens (McLuhan nannte sie auch die Gutenberg-Galaxie).

McLuhan, der das lange vor dem Auftauchen von PCs und Smartphones, von Internet und Social-Media festhielt, machte seine Prognose nicht von einem politischen Standpunkt aus, sondern sozusagen von einem psychologischen: dass mit der Elektronik alles mit allem verbunden werde, während der Druck getrennt habe: hier die Lesenden, getrennt von allem anderen ausser ihren Zeilen, sowie der Staat, getrennt von anderen Staaten und vereinzelnd verbunden mit seiner Bevölkerung durch Geschriebenes, Verordnetes, gesetzlich Festgehaltenes; und dort das Internet, das Auge und Ohr einnimmt und keine Grenzen kennt.

McLuhan warnte zwar vor dem, was heute in Blasen und Echokammern fortwährend Ausgrenzung und Verderben schafft, aber grundsätzlich war er zuversichtlich: Die Menschen würden erkennen, dass es nur eine Welt gebe und wir zwar unterschiedlich seien, aber gleichwertig.

Weissraum und redaktioneller Raum

Darüber möchte ich hier nicht räsonieren, vielmehr über die sozusagen kapitalpolitischen Konsequenzen des Verschwindens von Weissraum: Vor rund 200 Jahren hat sich nämlich, zeitlich parallel zum Nationalstaat, ein Geschäftsmodell entwickelt, in dem der Weissraum eine von zwei zentralen Rollen spielte – in erster Linie wirtschaftlich, in zweiter Linie politisch.

Die wirtschaftliche Rolle des Weissraums, von dem Heinz mit gewissem Stolz sprach, war die Finanzierung der Druckerzeugnisse. Mit dem Erlös aus dem Verkauf des Weissraums wurde nämlich die andere zentrale Rolle des 200-jährigen Geschäftsmodells bestritten – die Redaktion.
Eher unwillkürlich entwickelte dieses Geschäftsmodell eine ebenso starke wie vielfältige kapitalpolitische Kraft. Zwar gab es auch im redaktionellen Raum immer kommerzielle oder politische Propaganda, aber sowohl im historischen Rückblick als auch in der Einschätzung von Heinz war da eine fast systemische Trennung: buchstäblich auf der einen Seite der kommerziell getriebene Weissraum, und auf der anderen Seite der sozusagen literarisch getriebene redaktionelle Raum.

Geschäftsmodell und Gesellschaftsmodellierung am Ende

Dieses Geschäftsmodell, das massgeblich zur Modellierung liberaler, pluralistischer Gesellschaften und Staaten geführt hat, ist am Ende – und niemand nimmt es wahr.
Als das Standardwerk von McLuhan in den 1990ern in Deutsch nicht mehr verlegt wurde, kontaktierte ich als Freier Journalist aufgeregt meine Kunden wie die alte Weltwoche oder die SonntagsZeitung. Es interessierte zu meiner unglaublichen Ernüchterung kein Schwein.

Ähnlich empfinde ich zurzeit, und zwar in mehrfacher Hinsicht: Einerseits legen wir als Gesellschaft, die sich vorrangig in der Politik artikuliert, aber auch in der Bildung und den Massenmedien, keine Rechenschaft darüber ab, dass mit dem freien Weissraum auch die freie Presse verschwindet – und weit und breit kein Modell in Sicht ist, dass dieses 200 Jahre alte, ziemlich bewährte Doppel ersetzt.

Andererseits tauschen wir uns auch nicht ernsthaft darüber aus, was da heute an Massenmedien daherkommt und wie das getrieben ist: Von der JungfrauZeitung über den Tages-Anzeiger-Konzern bis zu Ringier winden sich die klassischen Medienhäuser und geben vor, das Geschäftsmodell stehe noch stabil – dabei reiten sie allesamt ein totes Pferd und wissen es genau.
Gleichzeitig sind vom Bödeli-Info bis zu Blochers Medien-Imperium Informationsschleudern herangewachsen, die nicht Wettbewerb bedeuten hüben von politischen Meinungen der Redaktion und drüben von kommerziellen Produkten beim Weissraum, sondern einfach nur Propaganda.

Die Folgen scheinen mir von den Wahlen am Wochenende über Trump bis zu Putin offensichtlich. Es ist wirklich beunruhigend, und ich wollte, ich könnte McLuhans Optimismus teilen.

Schriftsetzer an der Arbeit. Foto Wikipedia

Zu guter Letzt: Bei Bari in der lichtdurchfluteten Frutiger Druckerei, wo es fein nach Druckerschwärze roch, hatte ich ähnliche Gefühle, und es war ähnlich interessant wie bei Heinz in Zürich und bei Bracher in Bern: Wie frisch gegossene Buchstaben aus der Maschine des Schriftsetzers herunterschossen und sich zu Zeilen fügten. Und ich weiss noch, dass ich Bari fragte, wie es dazu komme, dass die Zeilen am Ende immer gleich lang seien – und wie Bari mir Spationierung, Durchschuss und Umbruch erklärte.
Diese Welt ist nach gut 500 Jahren eben untergegangen, und eben geht sie pervertiert wieder auf.
Ich stehe zweifelnd, verzweifelnd auf der Achse und rufe ins Leere.

1 Kommentar

  1. Ein kleines Echo aus dem Unterland – zumindest wurden deine Rufe in Worb gehört. Wenigstens von mir. Und ich teile deine Sorgen – ohne offene und ehrliche Kommunikation sind wir als Gattung am Ende … Oder wird X eine Alternative ?

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