Unterseen als Unternehmen mit eisiger Stimmung

Eisige Stimmung in Unterseen

Unterseen geht es blendend: «Die Kurve der Steuereinnahmen zeigt stabil nach oben», sagte Stefan Zurbuchen, für die Finanzen zuständiger Gemeinderat, im Herbst 2018 vor den Regionalmedien. Die Regierung der rund 4000 Stimmberechtigte zählenden Gemeinde schlug da dem Souverän eine Steuersenkung vor. «Wir wollen nicht unnötig Geld anhäufen», argumentierte der Bauunternehmer Zurbuchen schlagend.
Der Souverän folgte an der Gemeindeversammlung vom Dezember 2018: Ein Stimmvolk von 135 Aufrechten oder gut 3 Prozent der Stimmberechtigten segnete die Steuersenkung ab.

Unterseen geht es blendend

Die gute Lage der Gemeindefinanzen ist allerdings weniger einer umsichtigen Regierungspolitik zu verdanken als strukturellen Umständen: In letzten 20 Jahren hat die Bevölkerungszahl in Unterseen um etwa 20 Prozent zugelegt. In die vielen neuen Wohnungen zogen dabei im Gegensatz zu früheren Wachstumsschüben eher zahlungskräftige Pendler und Pensionierte als finanzschwache Proletarierer von Armee und Bahnen oder Gastgewerbe und Tourismus. Das politisch jahrzehntelang stockrote Unterseen hat sich denn auch in ein stockbürgerliches Dorf verwandelt – geblieben ist der fromme Faden, der das politische Gewebe nach wie vor durchwirkt.

Unterseen geht es miserabel

Unterseen geht es miserabel: Er könne sich nicht mehr mit den Beschlüssen, dem Vorgehen und dem Verhalten des Gemeinderats identifizieren, begründete Max Ritter, fürs Bauwesen zuständiger Gemeinderat, im Frühling 2019 seinen Rücktritt. Er habe sein Ziel verfehlt, «ein vertrauensvolles und produktives Klima in die Beziehungen zwischen Gemeinderat, Baukommission und Bauverwaltung zu bringen», erläuterte der Hotelier Ritter seinen Entscheid.

Dem Abgang dieses Gemeinderats folgte der Aderlass in seiner Bauverwaltung: Der Chefbeamte und sein Stellvertreter werfen den Bettel hin und verlassen die Gemeindeverwaltung Unterseen – während unter anderem eine Revision der Ortsplanung oder eine Regelung der Ferienwohnungen drängen.

Alte und neue Schlachtrösser

Reden wir Klartext: Die Zusammensetzung der Exekutive von Unterseen hat zu einem weitgehenden Zerfall von staatspolitischem Bewusstsein geführt: Zum einen fehlt an entscheidender Stelle staatsbügerliche Verantwortung. Diese Verantwortung gehörte in früheren Generationen auch im Stedtli zum selbstverständlichen Rüstzeug der Politiker. Verloren hat sie sich nicht erst in der laufenden Legislatur, sondern unter dem Einfluss verschiedener Rückenschützen bereits eher. Zum anderen vermengen sich in der aktuellen Exekutive Unverfrorenheit und Zurückhaltung, Ignoranz und Desinteresse, Machtbewusstsein und Angst zu einem Pfludi, der vielversprechend daherkommt, aber nicht hält und deshalb gefährlich ist für das ganze politische Bauwerk.

  • Einige massgebliche Wortführer in der Unterseener Regierung behandeln die Gemeinde wie ein Unternehmen voller teils unnötiger, teils fauler Mitarbeitenden, die kontrolliert und angewiesen gehören. Die Vorstellung, eine Gemeinde sei ein Unternehmen, ist zwar weit verbreitet, aber so absurd wie die Idee, eine Familie sei ein Unternehmen – eine schmerzlich passende Analogie für die Unterseener Regierungslage.
  • Andere massgebliche Wortführer halten still und taktieren: 2020 stehen Gemeindewahlen an, und insbesondere das Amt des Stedtlipräsidents scheint manch altgedientes und jungforsches Schlachtross zu interessieren.
  • Verbleiben vereinzelte Ahnungslose, die der guten Ordnung halber mittraben, oder Einsame, die einen den Kampf gegen Windmühlen führen oder beten.

Unterseen hat freilich die Wahl: Bei den verbliebenen Häufchen von Parteimitgliedern aller Couleur hintersinnt mann sich schon länger, und überdies ist damit zu rechnen, dass die Regionalmedien die staatsvergessene politische Selbstzerfleischung von Unterseen früher oder später aufgreifen werden.
Die Machthaber werden ihr Licht aber kaum unter den Scheffel stellen oder gar in sich gehen. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass die Herrschaften vermeintliche Verdienste, die politisch auszuschlachten sind, ins Feld führen und sich mit Blick auf die Wahlen wortreich und tatkräftig positionieren werden.
Was das Stimmvolk im Herbst 2020 daraus machen wird, steht auf einem Blatt – dem Wahlzettel.

Wenn nur noch beten hilft

Hoffnung besteht wenig: Wer ein staatsbürgerliches Bewusstsein hat, schüttelt in Unterseen nur noch den Kopf und ist jedenfalls kaum bereit, mit Verantwortung zu übernehmen oder sich gar in die Löwengrube zu stürzen.
Vielleicht hilft wirklich nur noch beten, der Gemeinderat möge sich wenigstens selbst ernstnehmen, in einem grösseren Ganzen aufgehen und die Fusion auf dem Bödeli erneut angehen.
Letzthin liess die Regierung nämlich verlauten: «Der Gemeinderat kommt nicht umhin festzustellen, dass er selber, die Kommissionen und die Kader von der rasanten Entwicklung in den Bereichen Bau, Planung, Tiefbau – wie andere Gemeinden auch – überrollt worden sind. Er stellt auch fest, dass die Anforderungen an die strategische Führung der genannten Bereiche für Milizpolitiker sehr stark gestiegen sind.»

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