Peter und die blindwütigen Berufsheuchler

Peter Lauener kenne ich von früher, und in meiner Erinnerung hat er einen festen Platz: «Der Journalismus holt das Schlechte aus den Menschen heraus», begründete er mir gegenüber seine Abkehr vom Journalismus. Das war 1999, Lauener und ich hatten im August dieses Jahres viel miteinander zu tun: Er arbeitete bei der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA) in Bern, und ich war als Korrespondent aus dem Berner Oberland für diese Agentur tätig.

Das Schlechte aus den Menschen herausholen

Eine angekündigte Sturzflut im Saxetbach erschlug und ertränkte damals 21 Menschen, Medien aus der ganzen Welt bezogen Stellung im Hafen von Bönigen, wo die Lütschine die Leichen in den Brienzersee gespült hatte, ein Mensch wurde nie gefunden, mir wird ganz schlecht.

Ich war von Beginn weg wie getrieben: Am Sonntag des Geschehens kamen wir mit dem Auto von einer Familienwanderung an Engstlen zurück und sagten noch zueinander, dass sich da ein Unwetter im Saxeter Kessel zusammenbraue. Am Abend rief mich die SDA an: Ob ich sofort nach Bönigen könne, ein Unfall sei passiert, Rafting oder Canyoning. Umgehend versuchte ich, meinen Bruder zu erreichen: Ende der 1980er, Anfang der 1990er hatte er zusammen mit einem Freund zu den ersten gehört, die im Berner Oberland mit Raft-Booten unterwegs waren. Der Freund machte bald ein erfolgreiches Unternehmen daraus, mein Bruder half manchmal noch als Rafting-Guide.

Nein, da sei kein Rafting-Unfall gewesen, beruhigte mich mein Bruder: Es war beim Canyoning geschehen, und die drei Verantwortlichen des betreffenden Unternehmens wurden in der Folge wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.
Diese Tage nach dem Unfall, meine profunden Kenntnisse der hiesigen Outdoor-Szene und der Medienwirbel waren für mich eines der Erlebnisse, die mich in den Fachjournalismus flüchten liessen – und Peter Lauener aus dem Journalismus überhaupt: «Der Journalismus holt das Schlechte aus den Menschen.»

Vom Journalismus in die Politik

Wir verloren uns aus den Augen, Peter Lauener ging zu den Gewerkschaften und begegnete mir erst wieder indirekt, als er neben Alain Berset in die Landesregierung gespült wurde. Nun, einige Jahre später, hat ihn Berset im Zug mutmasslicher Indiskretionen fallengelassen: Wie das Medienhaus Wanner aufgrund mutmasslicher Indiskretionen schreibt, soll Lauener das Medienhaus Ringier mit Indiskretionen namentlich in Sachen Covid versorgt haben, was die ständig mit Indiskretionen operierende Mediengruppe um Blocher und Köppel schon länger moniert hatte.
Vielleicht wird Berset dabei weiter so unter Druck geraten, dass nicht nur Lauener als Bauernopfer fällt, sondern auch Berset selbst als Bundesrat.

Systemischer Zynismus der Massenmedien

Die Massenmedien funktionieren hier mit demselben blinden Zynismus in ihren Rollen wie einst rund um den Saxetbach – es ist systemisch und also jenseits moralischer Kategorien von gut und böse: Fürs Geschäft einerseits ist es ausschlaggebend, zuerst und exklusiv Informationen zu haben – als freier Journalist konnte ich einst der Sonntagszeitung, dem Cash oder der alten Weltwoche praktisch nur exklusive Geschichten verkaufen; Relevantes, Bezeichnendes oder Analytisches interessierte nicht.
Ausser es war andererseits politisch: So schickte mich die Zürcher Sonntagszeitung einmal von Interlaken in die Stadtzürcher Tonhalle an eine Charity-Veranstaltung mit Hans-Heiri Coninx, dem traditionellen Eigentümer des Tages-Anzeiger-Konzerns, zu dem die Sonntagszeitung gehört – und inzwischen auch die Berner Zeitung samt ihren Klonen in der Greater Berne Area. Wahrscheinlich wollten die operativen Chefs der Sonntagszeitung ihrem strategischen Boss eins auswischen, indem sie den kleinen Journi aus dem Berner Oberland bei ihm vorbeischickten – politisch halt.

Geschäftsgrundlage Indiskretion

Ähnlich läuft es im Fall Lauener und Berset: Zum einen treiben politische Interessen die Entwicklung. Im Falle des Hauses Blocher sind diese offen erklärt sowohl vom politischen Personal à la Alfred Heer als auch vom politisch-publizistischen à la Roger Köppel: weg mit Berset. Zum anderen müssen Medienschaffende hinter exklusiven Geschichten her sein und also möglichst enge Beziehungen zu Menschen pflegen, die Informationen von besonderem Interesse haben.

Auf allen Ebenen sind hüben und drüben teils blindwütige Berufsheuchler, teils abgefeimte Machtmenschen am Werk: Vorab Wirtschaft und Politik sind den Medien verbunden und stecken ihnen gezielt Informationen zu – oder kaufen sich gleich einzelne Berichterstattungen oder ganze Medienhäuser.

Die Medienschaffenden machen entweder blindlings das Spiel mit oder sitzen mit den federführenden wirtschaftlichen oder politischen Kräften in einem Boot.
Das hat weder mit Verschwörungen zu tun noch mit Moral, sondern mit divergierenden Interessen und dem Bemühen, Aufmerksamkeit zu wecken und sich durchzusetzen: wirtschaftlich oder politisch gegen die Konkurrenz.

Mühlen der Macht

Jemand wie Peter Lauener kann da nur verlieren, wenn er einmal so weit in die rasend rotierenden Mühlen der Macht geraten ist. Nähme mich wunder, was er jetzt sagen würde analog zum Journalismus, der das Schlechte aus den Menschen herausholt. Vielleicht kann er aber auch gar nichts mehr sagen: Letzter Stand war, dass er bei einer Berner Kommunikationsagentur angeheuert hat – ausgerechnet um Nationalrat Lorenz Hess, einem der glattesten Kommunikatoren hierzulande.

Diese „Enthüllung“ hielt allerdings nicht lange. Ein Gratis-Online-Medium entblödete sich nicht zu schreiben, Lauener sei „schon wieder auf Stellensuche“, seine „Verstrickungen“ hätten ihn „bereits den zweiten Job innerhalb eines Jahres“ gekostet, andere wiederum fragten allen Ernstes, ob Berset etwas gewusst habe von den Durchstechereien: Das ist einfach ignorant.

Kurz nach der Publikation dieser Zeilen hat die NZZ einen erhellenden Text zum Journalismus veröffentlicht – mit einem grossen Mangel: Sich selbst reflektiert die NZZ nicht, obwohl sie gerade im vorliegenden Fall tief in die Indiskretionen verwickelt ist.

1 Kommentar

  1. Lieber Peti, die Aufregung um den Informationsfluss im Bundeshaus ist gross. Nur frage ich: Wie läuft das im Alltag? Ich nehme an: Genau so. Über Indiskretionen. Inhalte von Mails eines Chefbeamten des Bundes werden öffentlich: eine Indiskretion, nichts anderes. Die übergeordnete Frage ist, wie die Mainstream-Welle während Corona aufgebaut worden ist. Nicht auf die Viren bezogen, sondern auf die Meinungsbildung. Alle in die gleiche Richtung, volle Kanne. Und wer nicht mitzieht, hat’s schwer.

    Im Fall Lauener erstaunen die Vielzahl der Kontakte ins Ringier-Haus – und der Adressat. Ein CEO. Dieser sagte uns schon im Fall Hitzfeld, dass „alles unproblematisch“ sei. Der frühere Nationaltrainer war bei Ringier unter Vertrag und wurde vom „Blick“ mit samtenen Händen angefasst. Natürlich. „Wir trennen das“, behauptete damals Marc Walder. Natürlich mischte er sich ein, geschickt, aber er mischte sich ein. Wie im Fall Corona.

Kommentar verfassen