Drama um Tellspiele, Eissport und Bödelibad

Es dürfte bald 30 Jahre her sein, also eine Generation: Das Bödelibad war marode, und das damalige regionale politische Personal rateburgerte, was weiter gehen sollte. Ich sass damals als Parteiloser in der Finanzkommission Unterseen und bekam die entsprechenden Erwägungen deshalb ziemlich gut mit. Wenn mich die Fälscherwerkstatt meiner Erinnerung nicht täuscht, war das Bad als Genossenschaft organisiert, und eine der Optionen ging dahin, eine Aktiengesellschaft zu machen – was es in der Folge auch wurde.
Wenn ich mich aber weiter recht erinnere, war eine weitere Option, das Bödelibad zu schliessen: War es der Freisinn, der diese Option befürwortete und in Interlaken, Matten und Unterseen vor dem Souverän natürlich krachend scheiterte?

Eissportzentrum: Fass ohne Boden. Tellspielareal: hoffnungsloser Fall.

Es ist ja so: Das Bödelibad gehört zusammen mit der Eishalle und dem Kursaal zu den wenigen gemeinsamen Errungenschaften der politischen Gemeinden diesseits und jenseits der grossen, alten Kulturgrenze namens Aare – bereits auf antiken Karten erscheint die Aare als Grenze zwischen dem Lateinischen und Alemannischen, aber item.
Historisches und politisches Wissen um diese Gemeinwerke ist ebenso fundamental wir das Wissen darum, dass es sich hier nicht um Unternehmen im betriebswirtschaftlichen Sinn handelt, sondern um Infrastrukturen: Wie Schulen, Spitäler oder Verkehrswege folgen auch Sportanlagen in der Regel nicht Marktgesetzen von Angebot, Nachfrage und Preisbildung – ich kenne meine Pappenheimer von Smith über Baltenberger bis Taleb, ich habe mir dieses Wissen aufwendig angeeignet, weil ich politisch nur mitreden will, wenn ich nicht weitgehend ignorant bin.

Menschen: 
nicht dumm, aber ignorant
Die Menschen sind nicht dumm: natürlich nicht. Aber sie sind natürlich ignorant – vom Lateinischen ignorare, nicht wissen: Ich bin mit Blick auf die Funktionen eines Menzi Muck oder einer Bernina ignorant. Zwar dürfte allen bewusst sein, dass die Menschen in den meisten Fachbereichen ignorant sind, aber wir machen uns diese Ignoranz ebensowenig klar wie umgekehrt die Tatsache, dass wir nicht dumm sind.
Die Gründe dafür mögen machtpolitisch sein, aber darum soll es an dieser Stelle nicht gehen. Vielmehr will ich darauf hinaus, dass im Politischen, also der Organisation der Gesellschaft, zwar ebenso Wissen gefragt ist wie bei der Bedienung einer Bernina oder einem Menzi Muck. Aber während man nie jemanden an eine grosse, mächtige Baumaschine lassen würde, der diese Maschine nur vom Hörensagen kennt, sind im Politischen haufenweise Ignoranten an der Arbeit – die männliche Form wähle ich dabei bewusst.
Diese weitverbreitete Ignoranz festzustellen, heisst nun nicht, den Menschen politische Rechte wegnehmen zu wollen. Sondern einerseits entsprechendes Wissen zu vermitteln, und andererseits von wirkungsmächtigen Politikern der Exekutive und Legislative zu verlangen, dass sie ebensoviel Wissen mitbringen wie ein einigermassen geschulter Menzi-Muck-Pilot in seinem Feld – also zum Beispiel erläutern zu können, was Exekutiven und Legislativen sind und welchen Sinn sie haben.
Politik: 
wenig reinstecken, viel rausholen
Ob es um die Neubauten im Spital Unterseen geht, um Sanierungen im Bödelibad oder das Richten der beiden Lötschbergtunnels: Spätestens seit die Herren der mittelalterlichen Städte begannen, ihren eigenen Gemeinwesen Kredit zu geben, dabei das Gewerbe samt der Bürgerschaft zu besteuern und also dauerhaft risikolos zu kassieren, geht es in der Politik systemisch darum, möglichst wenig hineinzustecken und möglichst viel herauszuholen. Und weil das eben systemisch ist, kann niemandem die Schuld gegeben werden: Warum sollte mann gut und günstig arbeiten, wenn es nicht nur teuer geht, sondern Pfusch auch sicherstellt, dass dauerhaft gearbeitet und kassiert werden kann? Höre ich Widerspruch? Ernsthaft?
Unterseen: Bau- und Immobilienwesen privatisieren
Ausnahmen bestätigen dann die Regel, wenn etwa Gemeinwesen in Wettbewerb treten und die besten Schulhäuser wollen oder wenn Neurotiker Profil gewinnen wollen. Insofern wäre es durchaus eine Überlegung wert, das Immobilien- und Bauwesen der Gemeinde Unterseen beim Vizegemeindepräsident zu privatisieren. Er ist zwar politisch ignorant und folgt selbstredend entsprechenden systemischen Regeln, leistet aber handwerklich gute Arbeit. Gleichzeitig könnten wir uns im Stedtli das peinliche Affentheater der ordentlichen Ausschreibungen sparen und es so regeln, wie wir das ohnehin tun: im Turnus der Unternehmen.

Infrastrukturen muss sich eine Gesellschaft leisten: Kanalisation, Kindergärten, Kraftwerke – oder das Bödelibad, die Eishalle, den Kursaal und womöglich die Tellspiele.
Insofern gilt es zuvorderst, sich nicht auf den freisinnigen Unsinn des 20. Jahrhunderts à la mehr Freiheit und weniger Staat einzulassen: Es ist ignorant, marktwirtschaftlich zu argumentieren mit Blick auf Infrastrukturen à la Service public à la natürliche Monopole – siehe auch Ballenberg, gäll Blächhuser.
Viel eher gefragt wäre der Freisinn des 19. Jahrhunderts, gepaart mit unserer korporatistischen, landwirtschaftlichen Erfahrung von mehr als 1000 Jahren: Wie können wir es bei Gemeinwerken schaffen, dass nicht möglichst wenig hineingesteckt und möglichst viel herausgeholt wird, wie das im Politischen systemisch gilt.

Die klassische Antwort auf die Frage öffentlich finanzierter Gemeinwerke sind Checks and Balances, Kontrolle und Ausgleich: Gewaltentrennung, Transparenz, Rechenschaft. Weil wir Menschen sind, liegt das immer im Argen, aber ich weiss keine bessere Antwort als diejenigen der korporatistischen Alp- und Allmendgenossenschaften und des frühen Freisinns – Urzellen der Eidgenossenschaft notabene.

Marode Infrastrukturen und Vorschläge

Wir streiten uns freilich auf einer tieferen Ebene, die Ursachen dürften neben Ignoranz und Einzelinteressen auch mangelnder politischer Mut oder Bequemlichkeit sein – geschenkt, Tinel: Statt klarzustellen, dass Bödelibad, Eissportzentrum und à la longue auch der Kursaal Infrastrukturen sind, die kosten und die wir uns leisten, singen wir im Generationentakt in neuer Besetzung das alte Lied und erarbeiten längerfristig desolate Betriebs- und Finanzskonzepte.
Die Diskussionen, bei denen ich vor einer Generation hinsichtlich Bödelibad dabei war, wiederholen sich dabei praktisch deckungsgleich.
Und weil einerseits die obigen Parameter von Infrastrukturen systemisch sind und also gleichbleiben, und weil andererseits kein ausserordentliches Personal an der Arbeit ist, dass Systemik und Dilemmata deklarieren würde, wird alles, wie es war: hüben und drüben alter Wein in neue Schläuche, die Fortsetzung des Althergebrachten, ein Mysterypark halt – mit einem systemischen Unterschied: Bei Eissportzentrum, Bödelibad und womöglich auch noch Tellspielareal bezahlt der Souverän immer weiter.

Wenn wir nicht ignorant wären

Doch stellen wir uns einmal vor, ein Grossteil der Beteiligten wäre mit Blick auf Bödelibad, Eishalle und Tellspielareal nicht ignorant – den Kursaal lasse ich mangels Aktualität mal aussen vor:
Wir würden zum einen anerkennen, dass wir es mit Infrastrukuren zu tun haben, die nur gesundheitliches, gesellschaftliches und soziales Kapital anhäufen, aber finanziell nichts abwerfen, sondern dauerhaft kosten. Entsprechend würden wir sicherstellen, dass die finanzielle Verantwortung bei den politisch Verantwortlichen liegt – skin in the game, nennt das Nassim Taleb.
Nur so ist zu gewährleisten, dass eben nicht möglichst wenig hineingesteckt und möglichst viel herausgeholt wird, sondern im besten Fall das Neurotische der Verantwortlichen berührt wird, auf dass sie gute Arbeit leisten.
Das wird von der Gesellschaft übrigens honoriert: Es ist heilsam und schön und ausserordentlich, wenn politisch nicht krankhaft geheuchelt werden muss, sondern wirklich Freude herrscht, gäll Dölf.

Statt Flickwerk: Eissportzentrum auf dem Des-Alpes-Areal, Flussbad an der Aare.

Sportanlage samt Eishalle auf dem Des-Alpes-Areal

Zum anderen und insofern könnten wir mit dem Segen des Souveräns grosse Würfe wagen: beispielsweise ein Bödelibad diesseits der Aare und eine grosszügige Sportanlage samt Eishalle jenseits auf dem Des-Alpes-Areal, verbunden durch das Flussbad hin zum Englischen Garten, von dem einige Phantastinnen seit längerem bramarbasieren – ich brauche halt gerne Wörter, die manche ignorieren.

Es wage jemand, so etwas als fantastischen Unsinn abzutun zwischen Mysterypark und Eisenbahnbrücken, zwischen Kursaal-Annex und Des-Alpes-Abstimmungen: Ich kalkuliere in Anbetracht von NRP mindestens 50 Millionen Franken Baukosten sowie etwa 1 Million strukturelles Betriebsdefizit, ich sehe leuchtende Augen beim Baugewerbe – und wir könnten uns das leisten, müssten es vielleicht sogar touristisch und gesellschaftlich.

Eine ganz andere Frage ist, ob wir uns die Tellspiele leisten können: Es war eine grossartige Inszenierung letzte Saison, am besten gefallen haben mir Lars als Melchthal und Sina in der ignoranten, aber keineswegs dummen Schulklasse – der Schwur wiederum, bei dem den Anweisungen zum Trotz nicht nur die Frauen aufgestanden sind, war mir ebenso peinlich wie die Huldigungen für Albert Rösti ante Bundesrat.

Sieh vorwärts und nicht hinter dich

So schwer es mir in der tätigen Nachfolge von August Flückiger fällt, das einzugestehen: Die Tellspiele haben keine Chance mehr, im traditionellen Rahmen weiterzuexistieren. Die Infrastruktur nun jedoch den Bödeligemeinden zu verkaufen, sich gleichzeitig Tellspielinszenierungen zu sichern und die übrige Bespielung in ein Wolkenkuckucksheim zu stellen, ist ein tragischer Wahnwitz. Das kreide ist allerdings niemandem an: Die Verantwortlichen haben kaum eine Wahl, ich habe so etwas einmal Sachzwangst genannt.
Nur so am Rande: Was ist mit der vielgestaltigen Eigentümerschaft des Tellspielareals? Was ist mit Chirag Kali Godiwalla, indischer Staatsangehöriger in Engelberg, der samt dem Hotel Sonne nicht nur Land auf dem Tellspielareal gekauft hat, sondern auch Rechte – und offenbar erst jüngst festgestellt haben soll, dass er auf dem Areal wirten dürfte?!

Tellspielareal: komplex von Ritschard bis Zwahlen und vom Wirten bis zum Hinfahren.

Beim besten Willen fallen mir zur Tellspielinfrastruktur systemisch nur zwei plausible Lösungen ein: samt dem Eissportzentrum Urs Kessler schenken oder Erich Balmer – oder beiden zusammen.

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