Postauto, BLS, etc: folgerichtige, folgenlose Korruption

Die Demontage hat System.

Als „mutigen Querdenker“ schätze er mich schon lange, liess mich letzthin ein altgedienter bernischer Kantonspolitiker wissen, und irgendwie treibt mich diese joviale Einschätzung um. Es ging und geht mir nämlich nie darum, mutig querzudenken, ganz im Gegenteil: Schon als Lehrerskind unter Bauern- und Kolonistenkindern sah ich mich – teils bestaunt und bewundert, teils bedrängt und verhasst – vielfach mit der Frage konfrontiert, wieso die Dinge so sind, wie sie sind. Die Suche nach Antworten auf diese Frage machte mich zum Journalisten – und dass ich als Sohn eines strengen, patriarchalen Lehrers unter Schlägen und Tränen gezwungen war, klar zu denken, half mir dabei sehr.
Hinzu kam das radikale republikanische Verständnis meines Elternhauses und meiner Gegend: Die Eidgenossenschaft steckt tief in meinem Berner Oberländer Selbstverständnis – die direkte Demokratie, das starke Bewusstsein und grosse Selbstbewusstsein, als Stimmbürger tragender Teil dieses meines Staates zu sein, ihn mit auszumachen, mitverantwortlich.

Demokratie am Sonntag, Macht im Alltag

Mithin möchte ich mich dagegen verwahren, ich sei ein Querdenker. Ich denke mit, und ich versuche, klar zu denken und zu argumentieren. Wenn das querkommt, dann wäre zu folgern, etwas sei faul im Staate (-:hier ist für Nerds eine Paraphrase auf Hamlet – ich bin auch ein Bildungsbürger;-):

Zwar wird den grossen und den kleinen Kindern Demokratie gepredigt, aber wer das ernst nimmt, denkt quer, denn letztlich geht es um Macht. Wenn ich die Jahrzehnte überblicke, in denen ich dabei bin, und die Jahrhunderte, in die ich mich vertieft habe (ich will ja wissen, warum die Dinge sind, wie sie sind): Es gilt letztlich das Gesetz des Stärkeren, und Zugeständnisse werden nur gemacht, wenn es nicht anders geht oder keine Rolle spielt.
Freilich ändert dieser bestens belegte Befund nichts an meinem republikanischen Bekenntnis: Tue recht und scheue niemand, wie meine Urgrossmutter gesagt haben soll – eine Frau von Schwarzenburger Zigeuneradel. Doch das Republikanische kam nicht nur kraft meiner Erziehung, sondern auch wegen der Sachlage: Selbst autoritäre Staaten geben sich gern demokratisch, nicht nur wegen der moralischen Überlegenheit, die in der demokratischen Fairness offenliegt und jedem Kind einleuchtet. Mittlerweile zeigen auch die Wissenschaft etwa in der Spieltheorie oder im neuen Verständnis vitaler Prozesse, dass die Resultate dann am besten sind, wenn sich alle einbringen können – an dieser Erkenntnis trägt zurzeit etwa das kommunistische chinesische Kaiserreich China schwer.

BLS, Postauto: atemberaubende Zumutung

Jedenfalls habe ich einerseits gute Gründe, an meinem eidgenössischen Selbstverständnis festzuhalten. Andererseits verwahre ich mich nochmals dagegen, als mutiger Querdenker in eine putzige Ecke gestellt zu werden. Vielmehr rufe ich die Herren vom Establishment zur Ordnung – gerade jetzt, gerade hier:
Was sich diejenigen, denen der Souverän Verantwortung übergeben hat, zurzeit im hochgespülten Falle von Postauto, BLS und SBB leisten, ist eine atemberaubende Zumutung: Mit unverzichtbarer krimineller Energie und vollem Bewusstsein betrügen verantwortliche Kader und willfährige oder eingeschüchterte Schreibtischtäter den Staat, der ihnen staatsbürgerliche Verantwortung überträgt. Damit bescheissen sie nicht nur samt allen Staatsbürgerinnen und -bürgern sich selbst, sondern fressen auch blindwütig die Hand, die sie füttert.

Ich weiss es zwar schon lange, werde es aber nimmer akzeptieren – und bin damit nicht Querdenker, sondern erkenntnistheoretisch staatstragend: Viele hingegen, die im Gegensatz zu mir über Abstimmungen und kleine Ehrenämter hinaus Verantwortung tragen im Staate, treten das Republikanische mit Füssen – und zwar spätestens seit Marius und Sulla. Sie mögen sich zwar in Sonntagsreden zur Eidgenossenschaft bekennen und im kleinen Kreis gar die eigene Liederlichkeit beklagen. Aber Argumente fürs eigene Versagen sind ohnehin in allen Lebensbereichen lebenswichtig und immer rasch zur Hand – und im Übrigen korrumpiert Macht und macht Gelegenheit halt Diebe.

Der Fluch der bösen Tat

Der systemische Fluch bleibt damit wirksam – und wird von mutigen Querdenkern allenfalls anekdotisch gebannt: Was sich die Mitarbeitenden von Postauto, BLS und SBB offensichtlich leisten, und was vom Astra bis zur Ruag nach Kräften unter den Teppich gekehrt wird (eine Kernkompetenz besagter Kreise), untergräbt den Staat, ist damit hochgradig staatszersetzend – und mich schimpft man subversiv und überwacht mich. Solche Schindluderei, die mit der Eidgenossenschaft getrieben wird, gibt so all jenen Recht, die über den Staat herziehen, sich abwenden und womöglich nach einer starken Hand rufen, die à la Putin, Trump oder Hitler für Ordnung sorge.

Wer klar denken kann, wird nicht widersprechen – und eigentlich verlangte das republikanische Bekenntnis, dass nur Klardenkende grössere Verantwortung bekämen einem Staat, der diesen Namen verdient (man müsste von der Legislative und der Judikative vielleicht sogar verlangen, dass sie den Konjunktiv II erkennte).
Mich aber, der seit Jahrzehnten Deutsch und deutlich festhält, was Sache ist, desavouiert mann als „mutigen Querdenker“: eine Frechheit, die allerdings nicht bös gemeint ist, wie sich aus einer Diskussion mit besagtem Politiker ohne weiteres ergeben würde – er ist ein linker und netter Gutmensch, einfach etwas korrumpiert von der Macht, was beim besten Willen nicht zu verhindern ist (alle sind käuflich, für alles findet sich jemand, der zu töten oder zu sterben bereit ist – es kommt nur auf den Preis an).

Desto mehr braucht es die Bekenntnisse, aber eben nicht anekdotisch in Sonntagsreden oder Verweisen auf mutige Querdenker, sondern systemisch – ein frommer Wunsch angesichts der Kraft des Stärkeren, aber es gibt einerseits die Wissenschaft, und andererseits Glaube, Liebe und Hoffnung nicht zuletzt.

Obwohl sich das alles nicht rechnet, wird oben nicht nur nach Kräften abgezockt, sondern überdies unten beim Bodenpersonal gespart – auch das ein subversiver Klassiker.

Dunkle Vorzeichen der reinen Macht

Die systemischen Vorzeichen zurzeit sind allerdings zweifelhaft: Die subversiven Kräfte, welche staatliche Ressourcen plündern, sind zum einen gut organisiert und haben viel zu verlieren. Zum anderen hilft es wenig, wenn etwas ans Licht der Öffentlichkeit dringt: Wie der eben verstorbene Denker Francis Steiner dargelegt hat, nivellieren Informationen zu beliebiger Tagesaktualität, und sollte etwas zu heftig brodeln, haben die Mächtigen immer die Mittel, es abzutempieren. In den 1960er Jahren erklärte der einflussreiche Schweizer Werber Rudolf Farner, mit einer Million Franken mache er aus einem Kartoffelsack einen Bundesrat,  und erst kürzlich bekräftigten aktuelle, einflussreiche Nachfolger: «Die Leute an der Nase herumzuführen, das ist die Essenz der Public Relations.»

Es ist hoffnungslos, aber scheinbar nicht ernst.

NB
Übrigens gelte ich seit ein paar Tagen als Langzeitarbeitsloser – passt zum mutigen Querdenker und zu obigen Überlegungen wie die Faust aufs Auge.

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