Der Ballenberg bröckelt

Amtlich ist es schon seit dem 21. März 2014: «Die ausgeglichene Betriebsrechnung wurde in der Vergangenheit damit ‹erkauft›, dass weder in den Schutz und Unterhalt von Sammlung und Infrastruktur noch in die Erforschung der Kernsammlung der mehr als hundert historischen Gebäude, noch in dringend notwendige Weiterentwicklungen der Vermittlung der Gästeangebote genügend investiert wurde. Rückstellungen für den anstehenden Unterhalt der historischen Gebäude fehlen gänzlich. Das bedeutet einen massiven Nachholbedarf, wenn die Substanz nicht weiter Schaden nehmen soll.»

Werner Luginbühl, Ständerat für den Kanton Bern, nahm diese vernichtende Standortbeurteilung vor über fünf Jahren vor. Er schlug damit beim Bundesrat Alarm und forderte die Landesregierung auf, «einen substanziell höheren Beitrag an die Betriebskosten und den Investitionsbedarf des Schweizerischen Freilichtmuseums Ballenberg einzustellen» sowie «mit dem Standortkanton und den weiteren beteiligten Kantonen eine angemessene Kostenbeteiligung auszuhandeln».

Vernichtende Lagebeurteilung, schreckliche Abfuhr

Luginbühl, damals Präsident der 1968 gegründeten Ballenberg-Stiftung, wurde auch ganz konkret: «Soll die bisherige Erfolgsgeschichte mit rund 250 000 Gästen jährlich weitergeschrieben werden, rechnen die Museumsverantwortlichen in den kommenden Jahren mit jährlich durchschnittlich 3,2 Millionen Franken mehr Betriebsaufwand, jährlich rund 1 Million Franken Unterhaltsbedarf und – auf zehn Jahre verteilt – Investitionen von rund 44,5 Millionen Franken (mit jährlichen Folgekosten von rund 900 000 Franken).»

Werner Luginbühl, früherer Ballenberg-Stiftungspräsident.
Werner Luginbühl machte für den Ballenberg den Winkelried. Aber niemand stiess nach.

Der Bundesrat reagierte kühl. Er vertrete «die Meinung, dass der Stiftungsrat der privatrechtlichen Stiftung, der Trägerschaft des Freilichtmuseums, für die finanzielle Sicherheit der Institution zu sorgen hat». Es gehöre «zu den Pflichten des Stiftungsrates, die notwendigen finanziellen Mittel sowohl bei der öffentlichen Hand als auch bei privaten Geldgebern zu finden», überdies erachte es der Bundesrat «nicht als seine Aufgabe, mit dem Standortkanton sowie mit den Kantonen, von denen Zeugnisse ihrer ländlichen Baukultur auf dem Ballenberg vertreten sind, eine angemessene Kostenbeteiligung zugunsten des Freilichtmuseums auszuhandeln».

Für den Hilferuf aus dem Berner Oberland ebensowenig Gehör wie der Bundesrat hatte in der Folge das Parlament. Luginbühls Ballenberg-Vorstoss war ein totaler Tiefpunkt: Luginbühl zog als Winkelried in die Schlacht, doch in die Bresche stossen mochte niemand – bis heute nicht.

Gute Mienen zum bösen Spiel

«Die Herausforderungen sind genau so vielschichtig wie spannend», liessen die aktuellen Ballenberg-Strategen den neuen Direktor Martin Michel Anfang September 2019 sagen: «Es gilt, das gesetzte Ziel der rund 200 000 Eintritte pro Saison zu verfolgen und den Spagat zwischen den historischen Bauten und Geschichten mit der Neuzeit zu schaffen. Die Finanzen seien an der Spitze der Liste der Herausforderungen: «Wir finanzieren einen Grossteil der Kosten (rund 80%) durch Eintritte, Abgaben der Partnerbetriebe, Spenden sowie Beiträge der Fördervereine, selbst. Darüber hinaus sind wir aber auf die Beiträge der öffentlichen Hand angewiesen», meinte der Direktor. Aber er freue sich, «zusammen mit dem Stiftungsrat, meinem Team und allen Freunden des Freilichtmuseums den Ballenberg zu prägen».

Tessiner Ensemble auf dem Ballenberg.
Leistungsvereinbarungen etwa mit dem Tessin müssten sein, fehlen aber nach wie vor.

Adolf Ritschard dürfte sich im Grab umdrehen, die Mythologisierung des Freilichtmuseums ist ein urschweizerisches Lehrstück in Machiavellismus, Korporatismus und PR: In ähnlicher Weise, wie die heutigen Strategen den Gründervater Adolf Ritschard aus den Annalen des Ballenbergs getilgt haben, verschweigen sie die von der früheren Direktorin Katrin Rieder aufgearbeitete und von Werner Luginbühl dargelegte systemische Zwangsläufigkeit: Das Freilichtmuseum bewegt sich auf den Abgrund zu, aber seit Luginbühls Absturz und Rieders Rauswurf sagt niemand mehr ernsthaft etwas dazu.

Fassaden lassen sich nicht aufrechterhalten

Freilich wird sich die Fassade auf Dauer natürlich nicht aufrechterhalten lassen: «Wir wollen den Turnaround schaffen, um wieder steigende Besucherzahlen zu erreichen», hatte 2016 Peter Kohler gesagt, Direktor zwischen der gelernten Historikerin Rieder und dem gelernten Radio- und TV-Techniker Michel.

Als ich gewissermassen zum Antritt von Kohler, der es nicht lange aushalten sollte, damals schrieb, der Ballenberg sei bald am Boden, wenn nicht Grundsätzliches geschehe, rief mich der neue Stiftungspräsident Peter Flück zur Ordnung und zu sich: Im schönen Sitzungsraum bei der Verwaltung am Westeingang sass ich mit Präsident Flück und Direktor Kohler zusammen. Wir sprachen einerseits Klartext, andererseits schrieb ich einen Artikel nach Absprache:

  • Erstens und vor allem will der Ballenberg, dessen Museum jeweils im Sommerhalbjahr in Betrieb ist, mittel- bis langfristig jährlich wieder rund 250 000 Eintritte erreichen und damit mindestens 80 Prozent seiner Betriebskosten decken.
  • Zweitens wollen die Verantwortlichen die starke Marke Ballenberg im Rahmen von Partnerschaften verstärkt pflegen und dabei strategische wie auch objekt- und prozessbezogene Ansätze verfolgen, ohne die Marke zu entwerten – aktuelle Beispiele sind etwa das Schwingfest oder das Freilichttheater.
  • Drittens und nicht zuletzt bleibt der Ballenberg auf die öffentliche Hand angewiesen: Im Rahmen von Leistungsvereinbarungen und ähnlichen, klar definierten Leitplanken sollen sich zuvorderst der Standortkanton Bern und der Bund zum Ballenberg bekennen. Gefragt sind im Rahmen von Kulturförderinstrumenten wie den Lotteriefonds jedoch auch die anderen Kantone und regionalen Trägerschaften, die auf dem Ballenberg allesamt im schönsten Licht erscheinen.

Meine Nachfrage im Herbst 2019 auf dem Ballenberg lässt mich vorderhand alle Hoffnung fahren: Was die Frequenzen in der ablaufenden Saison angeht, sagt der aktuelle Direktor, man sei „eigentlich auf Kurs“ – Zahlen aber mag er keine nennen und verweist aufs nächste Jahr. Hinsichtlich Partnerschaften und Leistungsvereinbarungen wiederum gebe es „konkret nichts“, entsprechende Verhandlungen seien aber im Gang, zumindest mit dem Kanton Bern.

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