Verlierer der Gegenwart, Gewinner der Geschichte

JungfrauZeitung und Berner Oberländer liefern einmal mehr vorbildliche Beispiele für schlechten Journalismus: Sich nicht gemein zu machen mit einer Sache, ist eines der Kriterien für guten Journalismus. Im Zusammenhang mit Aufsichtsbeschwerden gegen den Gemeinderat Unterseen, von denen ich eine mittrage, sind die beiden Blätter noch tiefer gesunken, als sich nur gemein zu machen mit einer Sache: Statt selbst zu schreiben oder gar zu recherchieren, was Sache ist, haben sie schlicht den Text auf der Website der Gemeinde Unterseen kopiert.

Die Texte der JungfrauZeitung und der Gemeinde Unterseen.

Pro domo und ad personam

Dass die Mitteilung einer Gemeinde Schlagseite hat, ist nachvollziehbar. Zwar gibt es auch und gerade in Unterseen herausragende Beispiele für kritisches Selbstbewusstsein, hochstehende Selbstreflexion und gesellschaftspolitische Uneigennützigkeit. Aber entsprechende Differenziertheit heute vom offiziellen Unterseen zu erwarten, wäre zu viel verlangt.
Insofern verwundert weder die Schlagseite der sozusagen amtlichen Veröffentlichung noch die kindische Verdrehung unserer Motive samt sinnfälliger Denunzierung von Personen samt falscher Berufsbezeichnungen – ich zum Beispiel bin Deutschlehrer und schon mehr als 20 Jahre lang nicht mehr freier Journalist, und einer meiner Gspänli als Beschwerdeführer ist nicht Chefexperte von Beruf, sondern Architekt ETH SIA und ehrenamtlich als Bauberaterobmann bei der Regionalgruppe Interlaken Oberhasli des Berner Heimatschutzes tätig.

Der Ordnung halber sei aber an dieser Stelle nachgereicht und der JungfrauZeitung und dem Berner Oberländer ins Stammbuch geschrieben, was der Regierungsstatthalter kritisiert hat – das ganze Dossier mit allen relevanten Dokumenten findet sich hier, vielleicht gibt es ja wirklich noch Medien, die recherchieren:

  • Der Gemeinderat Unterseen hat Ausstandspflichten verletzt
  • Der Gemeinderat Unterseen hat unzulässige Freihandvergaben durchzuführen versucht
  • Der Regierungsstatthalter empfiehlt dem Gemeinderat Unterseen eine Umbesetzung sowie eine Entflechtung und Neuorganisation der Gemeinderatsstrukturen, um Möglichkeiten von Fehlverhalten zu reduzieren
  • Der Regierungsstatthalter regt die Einsetzung einer Geschäftsprüfungskommission (GPK) an

ad rem

Zum Schluss noch dies: Mit dem, was ich hier tue, verdiene ich nichts und kann persönlich nichts gewinnen; ich bin in keiner Partei, habe keine kommerziellen Interessen oder Verbindungen. Dies sind Kriterien für guten Journalismus, aber den beanspruche ich hier nicht, denn ich beziehe in diesen Spalten Stellung und mache das bereits durch die 1. Person Einzahl klar.
Damit habe ich gute Chancen, Gewinner der Geschichte zu sein – und Verlierer der Gegenwart.

PS: Der Berner Oberländer, längst ein Anhängsel des Zürcher TX-Konzerns, hat sich im Übrigen noch selbst übertroffen: Der Mann, der als langjähriger Chefredakteur das einstmals grosse, liberale Oberländische Volksblatt in den Sand gesetzt hatte, wurde vom Berner Oberländer an die letzte Gemeindeversammlung von Unterseen Mitte März delegiert. Statt einer aktuellen Berichterstattung erschienen jedoch erst vorbereitete Zeilen. Die Gemeindeversammlung lief freilich anders als vorgesehen: vorauseilender Gehorsam besonderer Art, aber irgendwie allen und alles egal.

1 Kommentar

  1. Ich teile die Ansicht des Autors betreffend die journalistische Leistung besagter Zeitung. Es ist ein erbärmliches Zeugnis des Berufsethos, wenn die von der Gemeinde vorgelegten Texte nicht hinterfragt werden. Vor allem auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit, die Missstände in der Behörde aufdecken zu können, repräsentiert der Arbeitsstil mit der Weigerung zur Recherche und zum Hinterfragen der Sachverhalte die Unterwürfigkeit des genannten Presse-Formats. Dabei wäre so viel Gehalt in einer sorgfältigen Betrachtung. Man muss nur hinschauen…

    Bei der vierten Gewalt gibt es aber auch Formate, welche den Kuschelkurs durchbrechen und Missstände geduldig recherchieren und darüber berichten. Positive Beispiele finden sich im Engadiner Bauskandal, welcher der Unternehmer Adam Quadroni ins Rollen gebracht hat. Und auch in unserer Region wird von der Presse teilweise kritisch hinterfragt. Als Beispiel darf die Berichterstattung rund um den Ausbau der Alphütten im Oberland genannt werden. Vielleicht wird ja bald über vermuteten Amtsmissbrauch, Willkür, rechtswidrige Amtsführung und Günstlingswirtschaft in der Gemeinde Unterseen recherchiert und berichtet.

    Das Regierungsstatthalteramt nimmt mit seiner Analyse ebenfalls eine zweifelhafte Rolle ein. Bei meiner Aufsichtsbeschwerde wurde mir dies bereits beim ersten Schreiben bewusst. Gemäss dem Zitat des besagten Amts handelt es sich bei einer aufsichtsrechtlichen Anzeige im Sinne von Art. 101 VRPG1 um einen Rechtsbehelf, der es allen Personen ermöglicht, eine Aufsichtsbehörde formlos über Unregelmässigkeiten zu informieren. In meinem Fall, der zweiten im Artikel erwähnten Aufsichtsbeschwerde, wurde ich vom Amt des Regierungsstatthalters aufgefordert, meine ursprünglich per e-mail eingereichte Beschwerde in Briefform zu senden. Die Willkür manifestiert sich schon beim Start des demokratischen Prozesses, nämlich indem eine eigentlich formlose Eingabe in die willkürliche Form gebracht werden muss. Inhaltlich habe ich das Dokument nicht verändert, die Form musste ich verändern…

    Amüsiert hat mich das Ausbleiben der Erwähnung meines Berufs, auf die in der Gemeindemitteilung und in der Zeitung verzichtet wurde. Bei den anderen, engagierten Bürgern wurden offenbar die falschen Berufe publiziert, bei meiner Person fehlt die Bezeichnung gänzlich. Gerne ergänze ich dies: Kritischer Bonvivant. Kann als Oximoron gedeutet werden, ist es aber nicht.

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