Tourismus: Missbrauchte Liegenschaften

Irgendwie ist mir das geblieben, irgendwie hat es mir wohl Eindruck gemacht: Als 2002 nach einem Finanz- und Führungsdebakel rund um die Crédit Suisse Otto Lindner Junior das Luxushotel Beau Rivage in Interlaken übernahm, gab er mir ein Interview. Wir sprachen über die Welt, den Tourismus und die Hotellerie in der Schweiz – und darüber, dass er ein mittelständischer Unternehmer sei (das Gespräch ist ganz unten nachgereicht, die Aktualität ist nicht eingebüsst, sondern eher noch akzentuiert, im Gegensatz zu den Fotos…).

Tempi passati (v.l.): Roland Vescoli, Urs Kessler, Otto Lindner und Urs Zaugg anlässlich der Übernahme des Beau-Rivage 2002.

Dass sich Lindner als mittelständischer Hotelunternehmer bezeichnete, überraschte mich damals. Aber mit gut zwei Dutzend Häusern, die nur teilweise Linder gehören, sondern wie das Beau Rivage gepachtet sind, dürfte sich Lindner wohl nach wie vor als mittelständischem Hotelunternehmenr sehen – eine internationale Sicht halt, keine kleinkarierte schweizerische.

Mittelständisches Hotelunternehmen: aktuelle Betriebe von Lindner.

Apropos: Als Lindner das Beau-Rivage um 2007 dann verkaufte und sich aufs Management beschränkte, ging der Handel laut gut unterrichteten Kreisen bar über den Tisch – so geht das und weist auf die zentralen Motive internationaler Hoteleigentümer in der Schweiz: Geld in Immobilien deponieren und Geld waschen.

Immobilien als Frankendepot oder zur Geldwäsche

Insofern ist nicht damit zu rechnen, dass die ominöse „HONG KONG ZHONGJI PROPERTY GROUP LIMITED“, der die Immobilie gehört, sich touristisch gross bewegen wird: Ähnlich wie das mutmasslich indische Unternehmen, dem in Interlaken das Hotel Du Nord gehört und das etwa im Hotel Hirschen in Gunten seit Jahrzehnten das Blaue vom Himmel verspricht, kann das Motiv der Chinesen nicht das Beherbergungsgeschäft sein.

Im Hirschen Ebligen wird inzwischen gebaut – von osteuropäischen Handwerkern in Autos aus dem Zugerischen.

Wahrscheinlich wird, wie Nachbarhotelier J.J. Maeder in der Regionalpresse verlautet hat, ein neuer Pächter antreten. Die dringend nötigen Investitionen jedoch dürften die Chinesen kaum vornehmen. Vielleicht machen es die Chinesen aber auch wie die Eigentümer im Hirschen Ebligen: Dort bauen sie nach Jahren des Zerfalls endlich, und zwar mit Handwerkern aus Osteuropa – die Baubewilligung sei in Ordnung, hiess es diesbezüglich auf der Bauverwaltung Brienz, für die Arbeitsverhältnisse sei man nicht zuständig.

Im schlimmsten Fall verfallen lassen

Möglich ist aber auch, dass die Eigentümer des Beau Rivage das denkmalgeschützte Haus langsam zerfallen lassen. Das letzte entsprechende Beispiel aus der Interlakner Hotellerie war der Schweizerhof beim Victoria Jungfrau, an dessen Rettung selbst Franz Weber scheiterte, das aktuellste Interlakner Beispiel ist die Villa Choisy an der Alpenstrasse, wo ein Denkmal einem Renditeklotz weicht.

Schweizerhof: Denkmal, weiland nicht einmal von Franz Weber zu retten.

Nicht verschwiegen sei zu schlechter Letzt eine weitere interessante Wasch- und Depotanlage. Im Falle Beau Rivage ist sie noch nicht möglich, gegeben wird sie an einem anderen schönen Ufer ganz in der Nähe: In Oberried am Brienzersee ging es vor rund zehn Jahren los mit dem Bau eines Landal-Resorts; vor rund fünf Jahren war Aufrichte, und mittlerweile beginnt das Florens-Resort langsam wieder zu verfallen, ohne jemals eröffnet worden zu sein.

Gespräch mit Otto Lindner Junior von 2002

Peter Grunder: Herr Lindner, ist die Hotellerie, ja das Gastgewerbe überhaupt, nicht so arbeits- und kapitalintensiv, dass sich ein Engagement in einer hoch entwickelten Wirtschaft, die hohe Wertschöpfung verlangt, eigentlich nicht lohnt?

Otto Lindner jun.: Eben weil das Kapital und die Arbeit gewichtige Faktoren sind, müssen die Immobilien vom Betrieb getrennt werden.

In der Schweiz ist aber der klassische Betrieb ein Familienbetrieb, wo alles in einer Hand liegt.

Lindner: Das liegt in der Tradition des Gastgewerbes an sich, aber während sich das in Deutschland und vielen anderen Ländern schon vor Jahren geändert hat, scheint die Schweiz an einer Tradition festhalten zu wollen, die sich betriebswirtschaftlich überlebt hat.

Womit die Häuser bei den Banken in den Portefeuilles mit den schlechten Risiken landen?

Lindner: In der Tat ist in der Schweiz zurzeit besonders augenfällig, wie viele traditionsreiche schöne Familienbetriebe kaum noch Spielraum haben, weil die Banken, welche ja ihrerseits unter ökonomischen Druck stehen, härter kalkulieren, was sich ja im Falle der Swissair drastisch gezeigt hat.

Und bezüglich der Hotellerie ist die Trennung von Immobilie und Management der Königsweg?

Lindner: Ich bezweifle, ob es in unserer Branche einen Königsweg gibt, aber fest steht, dass es der traditionelle Familienbetrieb sehr schwer hat, weil er zugleich für die Kapitalkosten und die Betriebskosten verantwortlich ist.

Das ist aber ein Direktor doch auch?

Lindner: Nein, die Direktion muss sich in allererster Linie um operative Dinge kümmern, trägt aber natürlich auch Verantwortung für die Immobilie. Wichtig dabei ist aber, dass im Sinne eines Profit-Center-Denkens Erträge und Kosten klar den unterschiedlichen Bereichen Immobilie und Management zugeordnet werden.

Diese Entwicklung findet doch aber auch in der Schweiz statt?

Lindner: Im internationalen Vergleich liegt die Schweiz hier noch sehr weit zurück. In Deutschland beispielsweise ist die Situation schon sehr polarisiert: Zum einen gibt es hier die grossen internationaler Gruppen, zum anderen Einzelbetriebe, die zumeist in der Hand von Familien sind und sich halten können, weil sie etwa in ganz bestimmten Nischen operieren.

Und tausende kleiner Familienbetriebe, die keine Chance haben?

Lindner: Alle, die dazwischen sind, werden im Augenblick aufgerieben.

Bislang findet sich aber immer irgend jemand, der marode Betriebe übernimmt, weil er meint, er schaffe das?

Lindner: Ja, aber immer weniger, weil die Banken da immer weniger mitmachen, was wiederum mit der Tatsache zu tun hat, dass heute Kredite auch in der Schweiz nur noch nach dem Ertragswert kalkuliert werden.

Bleiben also nur grosse Gruppen wie Ihre, um die Schweizer Hotellerie zu retten?

Lindner: Zum einen sind wir keineswegs eine grosse Gruppe, sondern verstehen uns als mittelständischer Betrieb.

Verzeihen Sie, aber aus der Warte der Schweiz sind Sie ein „Grosser“ und die Mittelständischen sind die traditionellen Familienbetriebe.

Lindner: Auf Sicht wird der Schweizer Markt in der Tat klein strukturiert und schwierig bleiben im Zugang für grössere Gruppen. Das widerspiegelt im Übrigen unsere aktuelle Strategie, sind wir doch im internationalen Vergleich sehr klein und also eher geeignet, in der Schweiz zu operieren, wobei uns aber natürlich auch unserer Erfahrungen und Standorte für diesen schwierigen Markt zugute kommen.

Ist auf klein strukturierten Märkten, wie sie sowohl die Schweiz als auch der Tourismus darstellen, die Kleinen nicht im Vorteil?

Lindner: Abgesehen von Marketingkooperationen, die anzutreffen sind, gibt es in der tatsächlich kaum Schweizer Hotelgruppen, die in der Schweiz tätig sind. Ich gehe aber davon aus, dass sich diese Gruppen bilden werden.

Unter dem Druck der betriebswirtschaftlichen Verhältnisse?

Lindner: Es kann doch nicht sein, dass die einzelnen Hotels weiter mühsam wirtschaften, ohne auch nur den Hauch einer Chance zu haben, die notwendigen Reinvestitionen zu finanzieren, geschweige denn neue Investitionen.

Muss es das Zusammenführen von Immobilien und das Verschmelzen zu Managementgesellschaften sein?

Lindner: In der Regel ja, wobei die Individualität der Häuser gewahrt werden muss, was ein ganz wichtiger Faktor ist. Im Einkauf, bei der Personalpolitik, in der Administration und im Marketing aber ist das Zusammenspannen nicht nur vorteilhaft, weil es mehr Durchschlagskraft bringt, sondern auch und nicht zuletzt, weil es die Kosten senkt.

Reicht es denn nicht, wenn man sich fürs Marketing einer Gruppe anschliesst, mittels Einkaufsgenossenschaften die Kosten drückt und auf Instrumente wie die Gesellschaft für Hotelkredit baut?

Lindner: Ein Grossteil dieser Instrumente gibt es auch in anderen Ländern, und es ist auch nichts dagegen zu sagen. Die Erfahrung zeigt aber, dass solches in der Regel nicht reicht, um den Einzelbetrieb dauerhaft über die Runden zu bringen.

Warum nicht?

Lindner: Um auf Ihre Eingangsfrage zurückzukommen: Nur in der Gruppe und nur, wenn Immobilien und Management getrennt werden, können die Kapital- und Arbeitskosten soweit gedrückt werden, dass sich ein Engagement lohnt.

Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht?

Lindner: Uns werden die Betriebe von den Banken angeboten, weil den Besitzern die Luft ausgegangen ist. Da stellt sich einfach die Frage, ob man die Augen so lange verschliessen will, bis andere über das eigene Schicksal entscheiden.

Das Modell Lindner als Lösung?

Lindner: Wir haben uns in den letzten Monaten in der Schweiz viele wunderschöne Häuser angesehen, von denen ich befürchte, dass sie keine Chance haben, wenn sie nicht in eine Struktur hineinkommen. Freilich kann und muss die nicht immer Lindner heissen.

In Interlaken, wo Sie aus Bankenhand kürzlich das 5-Stern-Haus Beau-Rivage übernommen haben, denken Familienbetriebe darüber nach, sich örtlich zusammenzuschliessen. Was halten Sie davon?

Lindner: Die Richtung stimmt, aber ob es reicht, sich auf einen Standort zu konzentrieren, möchte ich mal offen lassen.

Wie sag ichs meinem Kinde in der kleinstrukturierten Schweiz, wo man noch allenthalben den Familienbetrieb beschwört?

Linder: Die Angst vor dem Untergang und der Wille zu überleben sind ganz starke Triebfedern. Vielleicht waren diese Federn in der Schweiz etwa dank touristischen Standortvorteilen, dank grossen Kapitalerträgen aus dem Ausland oder dank Subventionierungen bislang nicht so stark gespannt.

Gilt das nur fürs Gastgewerbe?

Lindner: Ohne der Schweiz, die ich sehr liebe und wo ich seit über 30 Jahren Urlaub mache, allzu nahe treten zu wollen, meine ich schon, dass insbesondere die Dienstleistungsqualität im Tourismus gesunken ist.

Können Sie konkreter werden?

Lindner: Bis in den achtziger Jahren sind der Schweiz die Gäste zugelaufen, ohne dass viel getan werden musste. Die Krise der neunziger Jahre dürfte insofern auch damit zusammenhängen, dass die Dienstleistungsbereitschaft und die Servicequalität in der Schweiz deutlich gelitten haben.

Einerseits haben wir ein touristisches Qualitätsförderungsprogramm, andererseits ist das auch eine Kostenfrage.

Lindner: In der Tat. Sie haben Mindestlöhne, die sind atemberaubend, zumal sie obendrein im Vergleich zu dem, was netto herauskommt, bemerkenswert wenig Steuern zahlen.

Es gibt viel zu tun. Wo soll man beginnen?

Lindner: Auch und vor allem aus meiner Erfahrung als Gast meine ich, dass in erster Linie eine Veränderung der Mentalität gefragt ist. Dass man sich also in der Schweiz wieder willkommen und als Gast behandelt fühlt.

Wir haben ein nationales Qualitätsförderungsprogramm, das allerdings ziemlich harzt.

Lindner: Das ist eine nationale Aufgabe, und dass es mit der Qualitätsförderung harzt, wird vielleicht damit zusammenhängen, dass die Problematik eben in der Mentalität liegt.

Haltungen sind schwierig zu ändern, zumal in der Schweiz das Gastgewerbe keinen besonders guten Ruf geniesst.

Lindner: Wenn man schon vom Tourismus lebt, und das tun viele in der Schweiz, sollte man sich damit abfinden und den Gästen vom Skiliftangestellten bis zum Taxifahrer wenigstens den Eindruck vermitteln, sie seien willkommen.

Das Problem ist erkannt, wie bemühen uns…

Lindner: Wir müssen uns im Klaren sein, dass unsere Konkurrenz nicht der Betrieb nebenan oder der Ort auf der anderen Talseite ist, sondern Österreich und Colorado und die sonnigen Strände überall auf der Welt, wo man im Übrigen meist günstiger Urlaub macht als in der Schweiz.

Keine besonders günstigen Voraussetzungen?

Lindner: Die Schweiz ist wunderschön, aber man muss hier von den Bergbahnen bis Fluggesellschaften erkennen, dass der Wettbewerb nicht über die Hardware gewonnen wird, sondern über die Software.

Aber das kostet…

Lindner: Nein, das kostet kein Geld. Die Leute sind ja da und werden gut bezahlt. Die Frage ist nur, ob Sie für Ihr Geld griesgrämig Dienst nach Vorschrift leisten, oder ob sie sich um den Gast bemühen. Es braucht da wirklich nicht viel.

Warum schaffen wirs nicht?

Lindner: Der Fisch stinkt vom Kopf her, und was nicht vorgelebt wird von den Verantwortlichen in den Betrieben, das kann sich allen Programmen zum Trotz nicht durchsetzen.

Herr Lindner, besten Dank für dieses Gespräch.

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