Die schlechte Saat geht auf

Als ich jung war in den 1980ern, nahmen die Eliten diese Stimmen nicht wirklich ernst – und wir kleinen Rebellen schon gar nicht: eher peinlich, wenn Pfarrerssohn Christoph Blocher, der sich von Ems bis zu Alusuisse immer wieder unchristlich bereicherte, gegen das neue Eherecht wetterte; eher komisch, wenn Ulrich Schlüer in der „Schweizerzeit“ Otto von Habsburg huldigte.

Moskau einfach

Wohlgemerkt: Da waren Bösartigkeiten zuhauf, da waren institutionalisierte Frauen- und Fremdenfeindlichkeit, Homophobie und Gewalt; als ich mit 20 Jahren zum ersten Mal vor Schulklassen in Adelbodner Bäuerten stand, knallte ich jeweils mit Bedacht dem erstbesten Aufmüpfigen eine und konnte dann tiptop Schule halten – mitunter treffe ich bestandene Väter und Mütter, wir erinnern uns, lachen und wundern uns, wie sich die Welt verändert hat und wir uns darin.

Christoph Blocher gegen das neue Eherecht: Screenshot von Youtube.

Im öffentlichen Raum der Schweiz, abgesteckt von Politik, Schule und Massenmedien, herrschte bis in die späten Achtziger eine Art Nachkriegsordnung: unterbewusste Scham im Rückblick auf die Unmenschlichkeiten Nazideutschlands und der Schweiz, selbstbewusste Überheblichkeit hinsichtlich der wehrhaften Eidgenossenschaft und Demokratie, und nicht zuletzt bewusste Abgrenzung gegenüber Kommunistischem – „Moskau einfach“, lautete eine der Aufforderungen, die auch mir teilweise gewalttätig entgegengeschleudert wurde.

In diesem öffentlichen Raum erhielten „revisionistische“ Positionen bis in die späten 1980er Jahre schlicht keinen Platz: Zwar waren da Stockkonservative beim „Berner Oberländer“, Erzliberale bei der „Neuen Zürcher Zeitung“ oder Christikatholische beim Luzerner „Vaterland“. Aber es gab auch eine linksliberale „Weltwoche“ samt Zürcher „Tages Anzeiger“, es gab die Basler „Nationalzeitung“ und das „Oberländische Volksblatt“ – und da waren sogar richtig linke Blätter wie die „Berner Tagwacht“.

Als die ehrwürdige Berner Tagwacht kurz vor ihrem Ende über das absehbare Ende der Zeitschrift Druck schrieb.

Zwar drangen aus den Kämmerlein von Redaktionsstuben, Garderoben oder Kasernen auch immer wieder schreckliche Töne von Menschenverachtung oder maskuliner, weisser Überheblichkeit. Aber mann mochte es nicht so laut sagen wie Blocher und Konsorten, und irgendwie waren sich die Türhüter des öffentlichen Raums in den Redaktions- und Ratsstuben wohl auch darin einig, dass an den Lehren aus dem 2. Weltkrieg, geronnen zur allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, etwas sein müsse.
Auch das mochte mann zwar gerade in der Schweiz nicht laut sagen – weil wir glaubten, es erfunden zu haben? Dass jedenfalls Gutmenschen und Nette notwendig seien, um Ordnung und Wohlergehen zu sichern, war irgendwie ebenso klar wie der Staat, der Freiheit garantierte – schliesslich sind wir tatsächlich eine alte Demokratie, ausgehend von den Alpgenossenschaften und den Alpenpässen. Überdies legten die Wissenschaft etwa der Spieltheorie sowie die wirtschaftliche Entwicklung nahe, dass die Resultate dann am besten sind, wenn alle mitreden und sich einbringen – übrigens ein grosses Problem für China, nicht nur im Zusammenhang mit KI.

Aus der Schmuddelecke ins Rampenlicht

Kurz: Die extremen Positionen von Blocher und Konsorten wurden als eher unappetitlich wahrgenommen, Standard waren Kaliber wie Otto Fischer, Kurt Furgler oder Fritz Leutwiler.

Inzwischen sind alle Dämme gebrochen: Im Osten regiert mit Putin der blanke Terror und mit Xi das aalglatte Totalitäre, im Westen könnte der notorische Lügner und Bluffer Trump ein zweites Mal Präsident werden, und in der Schweiz sowie weiten Teilen Europas dominieren Blocher’sche Positionen die politischen und gesellschaftlichen Debatten.
Vielleicht wird es sogar Blocher, der einst betonte, es dürfe rechts von seiner SVP keine Partei mehr geben, langsam unheimlich: Habe ich dieser Tage irgendwo gelesen, dass die aktuellen Resultate der eidgenösischen Wahlen auf eine weitere Polarisierung hindeuten, wie sie die USA und westeuropäische Demokratien zunehmend lähmen?

Zeitenwende in Moskau 1991.

Das absehbare Ende des Bürgerlichen

Werden wir, nachdem die CVP jetzt verschwunden ist und die FDP samt den Themenparteien der Grünen serbelt, nach den übernächsten Wahlen vor dem Ende der Bürgerlichen überhaupt stehen? Wird es auch hierzuberge nur noch „Republikaner“ und „Demokraten“ geben, „Labour“ und „Tories“, Linke und Rechte? Habe ich irgendwo darüber gelesen?

PS
Und warum mögen sich die Postkommunisten à la Putin und die Postkonservativen à la Köppel, obschon ihre Väter sich noch gegenseitig verfluchten?
Und was ist schliesslich mit mir, der immer noch und immer wieder zwischen allen Stühlen sitzt?

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