Das Leitmedium stirbt, aber niemand kann berichten

Ich hatte eine sozialromantische Vorstellung: dass die Funktion unabhängiger Massenmedien etwas wert sei und es darum keine Werbung brauche. Das war offensichtlich eine Wahnvorstellung. Die Zeitung «Druck – Forum Oberland», die im Februar 1991 zum ersten Mal erschien, stellte an Weihnachten 1997 nach 26 inseratefreien Ausgaben ihr Erscheinen ein. Zum einen waren viel zu wenige Abos unter den Leuten, als dass sich die Publikation gerechnet hätte, zum anderen hatte das Blatt einen unbequemen Platz zwischen allen Stühlen – links liegengelassen vom rechten Establishment, rechts überholt von den linken Eliten.
«Die Motivation, alle zwei Monate ein Blatt zu machen, das fast niemand will und viele beargwöhnen, ging auch bei mir flöten», schrieb ich im Editorial der letzten Ausgabe.

Die verdrossen tote Pferde reiten

Das Blättchen hatte mit dem «Oberländischen Volksblatt» einen traditionsreichen Begleiter, der mit in den publizistischen Tod ging. Aber es gab auch zwei bezeichnende Nachfolger, die sich bis heute halten – die JungfrauZeitung und das Bödeli-Info: dort eine klassische Zeitung, die am Ende des Pressezeitalters den neuen Kanal des Internets beispielhaft nutzte, hier ein klassischer Werbeträger, bei dem Journalismus allenfalls dekorative Funktion hat.

Beide Blätter sind aus journalistischer Warte grauslich: Die Jungfrau-Zeitung hatte von Anfang an eine unklare wirtschaftliche Basis, die bis heute nicht geklärt ist. Vielmehr halten sich Mutmassungen, wonach publizistische Schwergewichte des späten 20. Jahrhunderts um Charles von Graffenried mit der Jungfrau-Zeitung und ihrem rührend rührigen Verleger Urs Gossweiler den Versuch unternommen hätten, dem Markt eine rein regionale Zeitung schmackhaft zu machen.

Die Rechnung ist nicht wirklich aufgegangen, und nebenher brachen unter dem kommerziellen Druck journalistische Ansprüche und Löhne zusammen. Inzwischen reiten die Jungfrau-Zeitung und der «Berner Oberländer» ihre toten Pferde verdrossen weiter und stechen dabei ganz gerne aufeinander ein – deprimierend und peinlich, wie die beiden Herren Chefredaktoren einander im kleinen Kreis letzthin vorwarfen, sich aufzublasen und ennet dem Zaun zu grasen.

Die schneidigen Nachfolger der schnöden Presse

Annette und Theodor Weber-Hadorn können sich derweil die Hände reiben: Ihr kostenloses Bödeli-, Brienz-, Spiez-Info gedeiht so prächtig, dass die Tarife regelmässig erhöht werden können und auch sonst immer mehr herausschaut. Webers kauften sich unter anderem den renommierten Werd-Verlag, sie publizieren wunderschöne Bücher und schöpfen die verlegerischen Möglichkeiten aus bis zur Schmerzgrenze von bedürftigen Medienschaffenden und profilgetriebenen Protagonisten.

Webers Geschäftsmodell ist beeindruckend (!) und verdeutlicht das Ende des papiernen Zeitalters auf der anderen Seite von Jungfrau-Zeitung und Berner Oberländer (Saanen-Anzeiger und Frutigländer suchen derweil die Mitte mit guter publizistischer Miene zu bösem kommerziellem Spiel): Gedruckt wird bei Weber im Prinzip nur unter grossem Druck – wenn klar ist, wer dafür bezahlt, seien das nun Inserenten, korporatistische und private Herausgeber oder andere Interessegruppen, die etwas Handfestes unter die Leute bringen wollen (Blocher kann sich das von der Weltwoche über die Zehnder-Blätter bis zur SVP-Zeitung selber leisten).

Die sozialromantischen Vorstellungen sind verflogen, historisch hätte es absehbar sein können: In den Anfängen der Drucktechnik dominierten vom späten Mittelalter bis zur frühen Neuzeit ähnliche Modelle wie heute: Publikationen waren kommerziell oder ideologisch getrieben.
Ab dem späten 18. Jahrhundert (die NZZ erscheint seit 1780) konnte sich langsam ein Modell etablieren, in dem die kommerziellen Aspekte des Inserateraums mit den ideologischen des Journalismus zusammenfanden. Waren da anfangs noch meist Parteiblätter, entwickelten sich zunehmend Forumsmedien, die sich einer Objektivität verpflichteten, welche kontroverse Positionen abbildete und erläuterte.
Diese Forumsfunktion hatte ein politisch starkes Fundament und einen systemischen Nutzen, der sich bis heute in den öffentlich-rechtlichen Massenmedien widerspiegelt: Die Massenmedien sind nicht Partei, sondern Foren, die zwischen den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräften vermitteln und damit sozusagen systemisch Konsens generieren.
Nach dem 2. Weltkrieg erschien dieses Modell, das meist mit einer strikten Trennung von kommerziellen und journalistischen Bereichen einherging, fast selbstverständlich – meine sozialromantischen Vorstellungen haben hier einen Ursprung, und dass der «Druck» einst in der Unterzeile «Forum Oberland» hiess, unterstreicht diese Vorstellung.

Knallharter Kommerz statt kluges Korrektiv

Dass autoritäre Kräfte das demokratietreibende Forumsmodell bekämpfen, liegt auf der Hand: Nach Möglichkeit wird verboten, zensiert und diktiert. In liberalen Gesellschaften begannen im späten 20. Jahrhundert einerseits Ideologen die Foren anzugreifen (z.B. Hofer-Club), zu zertrümmern (z.B. Privatradio und -TV) und zu übernehmen (z.B. Blocher). Andererseits untergruben die elektronischen Techniken und ihre Medien das Geschäftsmodell der Foren mehr und mehr: Inzwischen ist das klassische Modell mausetot, doch das wollen und können weder die jämmerlichen privaten publizistischen Restbestände wahrhaben und ernsthaft thematisieren, noch die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Kräfte – die kochen verständlicherweise lieber ihre eigenen massenmedialen Süppchen.

Was es bedeutet, wenn die Forumsfunktionen in liberalen Systemen wegfallen, weil ihre dahinterliegenden Geschäftsmodelle nicht mehr funktionieren, machen im Grossen die unsäglichen populistischen Polterer Blocher und Trump vor, im Kleinen Gossweiler und Weber.
Für die politische Kultur und insbesondere für das politische System der Demokratie ist der Zusammenbruch des Forums zwar vernichtend, aber wen kümmert das?

Meine Wenigkeit schrieb an Weihnachten 1997 im letzten Editorial des letzten Berner Oberländer Forummediums: «Ich werde weiter mit den Mächtigen ringen, aber nicht im Druck.»
Voilà.

Denn wie die Verhältnisse auch sind: Die Mächtigen können sich immer Gehör verschaffen, für die Ohnmächtigen aber sind Äusserungen mit Risiken verbunden – und diese Risiken werden mit dem Zusammenbruch des journalistischen Geschäftsmodells wieder kategorisch.

Ich stehe übrigens zurzeit auch deshalb auf der Strasse, weil ich bei meinem Verbandsblatt auf dem Forumscharakter samt Redaktionsstatut der Unabhängigkeit pochte. Mithin wiederholt sich für mich die Geschichte mit anderen Vorzeichen, und sie sind nicht besser geworden.

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