Wie das Gewerbe systematisch verrührt wird

Wenn es einen grösseren gewerblichen Verband gibt, auf den die nachfolgende Analyse nicht zutrifft, dann ist dieser Verband entweder eine Ausnahme, welche die Regel bestätigt, oder er ist systemisch anders organisiert als die klassischen Verbände mit ihren gewerblichen Ursprüngen im späten Mittelalter und ihren verbandspolitischen Ausformungen im 19. Jahrhundert.

Was systemisch heisst

Systemisch bedeutet schlicht, dass etwas am System liegt und also innerhalb des Systems nicht zu verändern ist. Eine Verhaltensänderung oder ein Personenwechsel bringt da, wo systemische Hunde begraben sind, also ebensowenig wie Umstrukturierungen oder andere Änderungen innerhalb des Systems. Nur Eingriffe im System selbst können etwas ausrichten – systemisch halt.

Das zu verstehen, ist entscheidend, um die politischen Schwierigkeiten zu nachzuvollziehen, in die das Gewerbe namentlich in den beiden letzten Generationen geraten ist: „Früher haben die bürgerlichen Kräfte ausgereicht, um klare Mehrheiten zu bilden“, sagte mir der Frutiger Nationalrat und Gewerbler Hansruedi Wandfluh, als er sich aus Bundesbern verabschiedete, und erläuterte: „Nach den Parteispaltungen und Neugründungen der letzten Jahre ist das Bürgerliche jedoch weniger stark vertreten und die Parteienlandschaft so zersplittert, dass die traditionellen bürgerlichen Koalitionen nicht mehr tragen. Vielmehr müssen Mehrheiten unter immer mehr Parteien ständig neu gesucht werden.“

Politik und Verbände für Hinterhältige

Das ist sozusagen die politische Systemik der gewerblichen Schwäche. Das Gewerbe hat aber auch organisatorisch ein systemisches Problem, das in Rückkoppelungen sowohl von der Politik mitverursacht wird als auch auf die Politik einwirkt.
Das organisatorische Problem des Gewerbes ist, dass die Verantwortlichen der Verbände nicht im Interesse des Gewerbes handeln, ja gar nicht handeln können – systemisch halt.

Das klingt schwieriger, als es ist: Wer an die Spitzen von Verbänden drängt und findet, braucht Qualitäten, die mit den Interessen derer, für die der Verband eigentlich da ist, nur am Rande zu tun haben.
Um an die Spitze zu gelangen, sind Ehrgeiz, Wille und Durchsetzungskraft weit mehr gefragt als etwa das Einfühlungsvermögen in die Interessen der Verbandsmitglieder – mann sehe sich nur einmal die Geschlechterverteilung in solchen Gremien an, und das gilt natürlich auch für die politischen.

Weil nun aber im Gewerbe insgesamt viel gearbeitet und wenig verdient wird, fehlt den Gewerblern einerseits die Zeit, um ihrem Verband auf die Finger zu schauen, und andererseits erheben sich die Verbandsspitzen gern weit über die gemeinen Niederungen ihres Gewerbes: Mann macht sich die Finger weder dreckig, noch will mann sie verbrennen – und wenn es nötig ist, biegt man auch die Verbandsstatuten zurecht, damit man nicht mehr dem Gewerbe nachgehen muss, sondern sich in seinem Amt sonnen kann.

Der grosse Widerspruch zwischen den Qualitäten, die an die Spitzen führen, und den Qualitäten, die an der Spitze gefragt sind, ist nun eben systemischer Natur. Überwunden wird der Widerspruch entweder taktisch durch Hinterhältigkeit der Akteure oder strategisch dadurch, dass jemand durch Zufälle an die Spitze findet – Helmut Kohl etwa holte Angela Merkel kaum, um sie zur Bundeskanzlerin zu machen.

Populisten statt Paternalisten

Grundsätzlich verändern lässt sich an diesem Meccano nichts – es sei denn, das System werde von aussen verändert oder breche zusammen. Beides ist schon deshalb schwierig, weil entscheidende Kernkompetenzen der Akteure in den Verbänden darin liegen, Besitzstände zu wahren, Gärtlein zu verteidigen und ihren Eigennutz noch als Gemeinsinn zu verkaufen.

Veränderung von aussen ist aber auf Dauer unvermeidlich, und besonders die Digitalisierung, die zum Beispiel ein publizistisches Gefäss wie dieses hier erst ermöglicht, hat eine enorme Kraft: Bewegungen, die Macron oder Trump hochspülten, haben mithin auch Potenzial fürs Gewerbe.

Denn so sehr das Gewerbe in den letzten Jahrzehnten an politischer Duchschlagskraft verloren hat, so sehr ist es volkswirtschaftlich nach wie vor tragend. Doch so nützlich und sinnvoll einst die paternalistische Methode war, dass habliche Patrons in ihren Verbänden Ehrenämter besetzten und kompetente Funktionäre à la Otto Fischer oder Florian Hew machen liessen, so sinnlos und schädlich ist die heutige populistische Methode – man führe sich Bigler vor Augen oder Borner.

Christoph Blocher, der seine Hinterhältigkeit von Ems bis Alusuisse immer wieder bewiesen hat, raffte Milliarden zusammen, um von der Zürcher SVP über die Auns bis zu Zehnders Gratisblättern und der Weltwoche genug Schwungmasse für Populismus zu haben.

Die Gewerbler jedoch sind und bleiben kleinstrukturiert – auch das ist systemisch bedingt und letztlich ihre tragende Stärke und Kraft. Indes bieten die neuen digitalen Technologien inzwischen Möglichkeiten, auch kleine Strukturen zu verbinden – und das wiederum stand einst am Anfang der Verbände. Dass die heutigen Verbände dorthin nicht zurückwollen, dürfte nun klar sein: Sie können nicht, es ist systemisch.

Zum Schluss noch dies: Die Schwierigkeit, zwischen dem Paternalistischen früherer Generationen und dem Populistischen von heute einen gangbaren Weg zu finden, gilt auch politisch. Hans Hess, so bürgerlich wie Wandfluh, sagte mir, bevor er sich nach Jahrzehnten aus dem Ständerat verabschiedete: „Leider setzt sich inzwischen eher die Schlagzeilenpolitik durch, die einfache Lösungen verspricht. Und die Politik muss dann die vermeintlich einfachen Lösungen umsetzen, was alles andere als einfach ist.“

2 Kommentare

  1. Lieber Peter, gemäss Deinen Angaben ist das hier ein satirisches Gefäss. Es ist sympathisch, dass Du keinen Anspruch auf Ernsthaftigkeit oder gar Wahrheit erhebst. Der Satire wohnt die Übertreibung inne: So gesehen, kann ich Deinen Ausführungen weitgehend zustimmen. Viele Verbände leisten dennoch Wertvolles, beispielsweise in der Berufsbildung. Manchmal sogar in der Politik, auch wenn sich die Erfolge meist darauf beschränken, noch Schlimmeres verhindert zu haben. Die KMU in unserem Land haben es auf jeden Fall verdient, kraftvoll vertreten zu werden. Damit aus den Sonntagsreden der Politiker Taten werden!

    • Maurus Ebneter und sein ebenso schlagkräftiger wie effizienter Verband in Basel sind einerseits eine Ausnahme von der Regel, die ich oben beschreibe. Andererseits ist oben von grösseren Verbänden die Rede. Denn kleinere Verbände (oder kleinere Kantone) haben systemisch ein mächtiges Korrektiv, das bei den grossen nur noch repräsentativ vorhanden sein kann: die demokratische Kontrolle und die demokratische Teilhabe, aufs beste vorgelebt etwa bei den letzten Wahlen des Basler Wirteverbandes. Überdies kennt mann sich im kleineren Kreis wirklich – die Verabschiedung und Ehrung von Seppi Schüpfer war ein Gedicht!

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