NZZ: Mythen und Moneten

Herbert Marshall McLuhan, für mich in Medienangelegenheiten ein wichtiger Wegweiser, schrieb vor etwa zwei Generationen, Zeitungen seien wie ein Mosaik: ein Kunterbunt an Botschaften.
Mit Blick auf die Sprache wiederum meinte nicht nur McLuhan, sondern etwa auch sein Zeitgenosse Jean Gebser, für mich ein weiterer wichtiger Wegweiser, Sprache schaffe unvermeidlich Mythen: Geschichten, mit denen wir Menschen bestimmte Emotionen, Ideen, Denk- und Handlungsweisen verbinden.

Sprache muss Mythen machen

Die NZZ hat eben für beide Bereiche je ein sinnfälliges Beispiel geliefert: Auf Seite neun war von der „Lust an der unglaublich skandalösen Geschichte“ zu lesen. Indes schöpfte die NZZ weder aus dem Vollen, noch spiegelte sie ihre eigene Funktion. Vielmehr begnügte sie sich damit, von Corona bis zu Aids auf haarsträubende Geschichten, ihre Entwicklung sowie ihre gesellschaftliche und wissenschaftliche Verortung hinzuweisen.

Die Geschichte über die Geschichten bleibt damit oberflächlich, bedient mithin just die emotionalen Hebel, die sie zu hinterfragen vermeint und führt sich damit ad absurdum – alles notabene niemandem persönlich anzukreiden, denn wohl unter- oder gar unbewusst und also sozusagen systemisch: kein Wort darüber, dass Sprache grundsätzlich zu Mythenbildung neigt, und kein Wort darüber, dass Zeitungen verkauft werden müssen und desto mehr Interesse wecken, je auffälliger der Mythos modelliert ist – Unfälle und Verbrechen, Bilder, Lieder, Sex.
McLuhan erläuterte diesbezüglich, dass „heisse“ Botschaften und Medien direkt und und unvermittelt die Menschen erreichen und auf den Bauch und das Herz zielen, während „kältere“ mehr den Kopf und die Gesamtpersönlichkeit brauchen, um anzukommen.

Der Tatbeweis beim Umblättern

Die Tiefe, die ich von der NZZ erwarte und oft auch bekomme, liefert in besagter Ausgabe freilich unter- oder unbewusst just die Mosaikform der Zeitung beim Zurückblättern auf Seite sieben: ein grandioses Beispiel für Mythenbildung!

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