NZZ: kindischer* Kulturkampf

Ich schätze die «Neue Zürcher Zeitung» sehr. Zwar kostet diese Tageszeitung mehr als 800 Franken pro Jahr. Aber dafür gibt es auch etwas: täglich Texte aus aller Herren Ländern, geschrieben von sprach- und sachkundigen Menschen, die in der Regel Bezug zur Schweiz haben.
Entsprechend meine ich, über das Weltgeschehen auf dem Laufenden zu sein – natürlich aus einer schweizerischen und bürgerlich-liberalen Warte; zum Ausgleich kommt auch die WochenZeitung ins Haus, in der Sache ähnlich hoch einzuschätzen und politisch ebenfalls klar zu verorten.

Volkswirtschaftlicher Unsinn in der NZZ

Diese Person lese den Wirtschaftsteil der NZZ, lautet hierzulande ein ältliches Bonmot, das besonders beschlagene Leute qualifiziert – wobei sich Bewunderung und Spott mischen, wie es sich fürs aufgeklärte, sich selbst und selbstbewusste Bildungsbürgertum gehört.
Ich gehöre in der Tat zu denen, die den Wirtschafteil der NZZ nicht nur aufmerksam lesen, sondern auch regelmässig darauf reagieren – freilich wurden meine Leserbriefe noch nie gedruckt, mutmasslich gelte ich der Redaktion als Journalist, der nichts zu suchen hat in Leserbriefspalten, ok.

Weil mich nun ein Artikel letzthin besonders aufgewühlt hat, schreibe ich für einmal nicht der NZZ, sondern hier: Der NZZ-Artikel verspricht in Titel und Untertitel, den Wert von Hausarbeit und Fürsorge zu verorten – meines Erachtens ein sehr interessantes und relevantes Thema.


Umso mehr wuchs meine Enttäuschung im Laufe der Lektüre, die sich über eine ganze Zeitungsseite hinzieht: Der Autor, vorgestellt als Wirtschafts- und Finanzexperte, schätzt vorweg die Geldwerte von Hausarbeit und Fürsorge, verliert aber in der Folge kein Wort über Angebot und Nachfrage, über Preise und Märkte.
Stattdessen philosophiert er von Hannah Arendt bis zu Alice Schwarzer teils salbungsvoll, teils herablassend über fürsorgliches Hausfrauendasein und schreibt von einem «Kampf», den inzwischen jene gewonnen hätten, die sich um Hausarbeit foutierten – als würde es der Autor darauf anlegen, dass die Lesenden sich hinter den Zeilen nur einen alten, weissen Boomer mit einer treusorgenden Gattin vorstellen können.

Auch wenn die Zeilen in der Rubrik der Meinungen und Debatten erscheinen und als Kommentar ausgewiesen sind, beschämen sie in meinen Augen die alte Tante NZZ. Dies zumal es von Adam Smith über Karl Marx bis zu David Graeber viele Zeilen auch von älteren, weissen Männern gibt, die in Sachen reproduktiver Arbeit vulgo Hausarbeit und Gesundheits- und Sozialwesen vulgo Fürsorge NZZ-tauglich wären.

Mit zuvorderst müsste doch stehen, dass Geld nur dort fliessen und Marktwirtschaftliches nur dort stattfinden kann, wo Märkte sind: Im weiten Feld der Kinder und Familien jedoch, aus dem die Hausarbeit wächst, gibt es seit jeher keinen Markt – und also weder Angebot und Nachfrage noch Preise im ökonomischen Sinn.
Das ist nicht schwer zu verstehen, denn es ist diesseits der Marktwirtschaft und jenseits der Familie ziemlich plausibel. Käuflich ist Familiäres in allen Gesellschaften nur in Randbereichen: einerseits dort, wo Ausbeutung und Verbrechen herrschen, andererseits in Kreisen, wo mann sich Hausangestellte leisten kann.

Jährlich zwölf Milliarden Stunden Hausarbeit

Weltweit jährlich zwölf Milliarden Stunden Hausarbeit mit einem Geldwert von etwa zwölf Billionen Schweizer Franken zu schätzen, ist zwar aufrüttelnd und interessant – und die Zahlen kommen aus besagtem NZZ-Kommentar. Aber wenn sich der NZZ-Autor über die Datenquelle Oxfam mokiert und etwa moniert, «Betätigung im Haus» werde «als Arbeit definiert», ist das einfach nur peinlich.

Zum einen ist Hausarbeit schon für Aristoteles Arbeit, geschweige denn für Hausfrauen und Hausmänner. Ich war und bin so einer, und auf die Idee, das könnte keine Arbeit sein, kann eigentlich nur jemand kommen, der diese Arbeit kaum jemals gemacht hat. Oder der zum anderen zwar die phänomenologische Praxis kennt, aber epistemologisch unterwegs ist und theoretisch zu einem anderen Schluss käme.
Theoretisch ist da aber in der NZZ nichts, was einer ernsthaften Überprüfung standhalten würde – allenfalls legt der Autor nahe, «Betätigung im Haus» sei eben nicht «als Arbeit definiert», weil sie nicht mit Geld bezahlt wird: ein geradezu aristotelischer Zirkelschluss, der nichts zu suchen hat in der NZZ.

Statt über Frauen und NGOs herzuziehen, die Hausarbeit unter anderem ökonomisch qualifizieren und quantifizieren, gälte es wie gesagt, die wesentliche Ursache herauszuarbeiten, warum Hausarbeit eben nicht mit Geld aufgewogen wird: Es gibt keinen Markt dafür.
Mit einem Hinweis darauf hätte sich der NZZ-Autor die Hälfte seiner Litanei sparen können. Denn wo es systemisch keinen Markt gibt, kann systemisch auch kein Geld fliessen. Ende dieser Diskussion und Anfang einer anderen, für die der NZZ-Autor die andere Hälfte seiner Zeilen verschwendet: Was sollen Attacken auf systemisch schwache Kräfte wie Frauen und NGOs? Hier immerhin liefert die NZZ kurz nach der unsäglichen Arbeit zu Hausarbeit tiefsinnigere Antworten.

Mutmasslich führt diese andere Diskussion, zu der etwa Rosa Luxemburg, Simone de Beauvoir, Iris von Roten und Reni Eddo-Lodge Wesentliches zu sagen haben, zurzeit in den Sumpf der Kulturkämpfe. Sie lassen sich nicht trockenlegen, die Kulturkämpfe, denn ihr Sumpf ist systemisch, liegt in ihrem Wesen – nur lassen kann mann diese Kämpfe oder sie analysieren: sic.

Es gibt keinen Markt für Familiäres und Fürsorgliches

Die Fürsorge verortet besagter NZZ-Autor mithin auch kulturkämpferisch. Dabei lässt sie sich ebenfalls glasklar ökonomisch herleiten: Die Fürsorge ist ein geradezu klassisches reproduktives Feld – das ist nicht produktiv und kostet nur.

Womit sich der volkswirtschaftliche Argumentationskreis zum Familiären schliesst:

  • Im Familiären sorgt die Biologie im Verein mit der sozialen Nachfrage für eine leidlich verstetigte Reproduktion und das Tragen der entsprechenden Kosten. Dass aufgeklärte Gesellschaften sich nur knapp reproduzieren und an den reproduktiven öffentlichen Kosten gespart wird, steht auf anderen Blättern.
  • Im Fürsorgerischen wiederum herrschten zwar über Jahrtausende ebenfalls diese Prinzipien, die im besagten Artikel der NZZ durch die Zeilen triefen. Aber entwickelte Volkswirtschaften stemmen die Kosten vom Gesundheits- bis zum Bildungswesen mittels Versicherungen und Steuern.

Reproduktives und Produktives

Dass es kostet, wenn jemand krank wird und gesunden soll, ist zwar ebenso einfach zu verstehen wie die Tatsache, dass Bildung kostet, während sie vermittelt wird. Doch hüben und drüben bezahlen wir aus guten Gründen, weil nach dem Erledigen der Aufgabe etwas herausschaut: Die Gesunden sind so produktiv wie die Gebildeten.
Und weil es sowohl im Gesundheits- wie auch im Bildungswesen Minderheiten sind, bei denen die Kosten anfallen, können wir diese Kosten als Gesellschaft volkswirtschaftlich ohne weiteres tragen. Das dürfte auch einer der tragenden Gründe sein, warum es so etwas wie Gesellschaften überhaupt gibt – obschon oder gerade weil Margret Thatcher behauptete, so etwas wie Gesellschaft gäbe es nicht.

Und ähnlich, wie die NZZ einem kurzatmigen Kulturkämpfer das Wort erteilte zu Fürsorge und Hausarbeit, gab die alte Tante in den letzten zwei Generationen im Sinne Thatchers volkswirtschaftlichen Ignoranten vulgo Kulturkämpfern Raum. Sie schafften es unter anderem, das Gesundheitswesen betriebswirtschaftlich zu determinieren und einen Markt daraus zu machen. Legende sind die Fehlanreize und -allokationen, die sich aus diesem volkswirtschaftlichen Unsinn ergeben – und die Kosten hören nicht auf zu steigen.
Das ist folgerichtig, wenn nicht systemisch – und gewissermassen das Negativ dessen, was in der NZZ zu Fürsorge und Hausarbeit zu lesen ist: Weil das Gesundheitswesen über Versicherungen und Steuern finanziert ist, können sich die Marktmächtigen des per definitionem perversen Gesundheitsmarktes schadlos halten – und sie können selbstverständlich eine Öffentlichkeitsarbeit bezahlen, die nicht einmal solch ökonomische Binsenwahrheiten ans Licht dringen lässt.

Leuchtturm der Vernunft missbraucht

Immerhin ist es diesen Kräften in der Schweiz noch nicht gelungen, ihren Irrsinn aufs Bildungswesen zu übertragen. Aber was ist, könnte noch werden: Das legen weitergehend liberalisierte Volkswirtschaften etwa im Angelsächsischen und Asiatischen nahe – und die mutmasslich zunehmende Bereitschaft von Leuchttürmen der Vernunft à la NZZ, fahrlässig Blitzgewitter zu verbreiten und als Abschussrampe für Nebelgranaten herzuhalten.

Ich habe vorderhand fertig – und bin es.

*Kinder, die sich altersgemäss verhalten, sind bisweilen kindlich. Erwachsene, die sich nicht entsprechend verhalten, sind bisweilen kindisch: wenn mann es besser wissen könnte/sollte/müsste.

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