25 Jahre Krankenkassen-Obligatorium: schmerzhaft teurer Denkfehler

2014, sozusagen zum 20. Jahrestag des Schweizer Krankenkassenobligatoriums von 1994, diagnostizierte der langjährige Basler Medizinprofessor Fritz Hefti in einem medizinischen Fachblatt Unerfreuliches. Die Spitäler loteten aus, «wie man am besten zu Geld kommt», legte Hefti den Finger auf einen wunden Punkt, «es liegt im System, bei der Pflege zu sparen», wies er auf einen anderen.

Die aktuelle Datenlage, dargelegt vom Bundesamt für Statistik, stützt Heftis Diagnose: Seit Einführung des Obligatoriums in der Schweiz haben sich die Gesundheitsausgaben pro Kopf der Bevölkerung von rund 400 Franken monatlich auf etwa 800 Franken verdoppelt. Mit Blick auf die Wirtschaftsleistung der Schweiz wiederum hat sich der Gesundheitsanteil am Bruttoinlandprodukt von gut acht Prozent auf über zwölf Prozent erhöht (vgl. Grafik).

Druckstellen verursachen dabei nicht nur die Entwicklungen der Zahlen, sondern auch die Verbindungen zur Wirtschaftsleistung: Als Deutschland 1883 voranging und eine staatlich abgestützte, weitgehend obligatorische Krankenversicherung einführte, wäre es nämlich niemandem in den Sinn gekommen, Gesundheitskosten als Wirtschaftsleistung in eine volkswirtschaftliche Buchhaltung aufzunehmen.

Die volkswirtschaftliche Binsenwahrheit, dass bei Gesundheitskosten nicht von einer wirtschaftlichen Leistung die Rede sein kann, sondern von einem wirtschaftlichen Schaden, hat sich inzwischen aber verflüchtigt. Volkswirtschaftlich ist das Gesundheitswesen aber nach wie vor keine produktive Leistung wie etwa das Ernten, Backen oder Bauen.

Vielmehr handelt es sich beim Gesundheits- oder auch beim Erziehungswesen volkswirtschaftlich um reproduktive Leistungen, die aus den Ressourcen produktiver volkswirtschaftlicher Bereiche bezahlt werden müssen.

Gesundheitskosten sind Kosten

Deshalb konnten sich Schulen oder Spitäler auch erst breit durchsetzen, als sie im Rahmen von Versicherungs- und Abgabesystemen auf diese Ressourcen zugreifen konnten. Während solche Erkenntnisse in den ökonomischen und politischen Diskussionen des 18. und 19. Jahrhunderts breiten Raum hatten, wurden sie im 20. Jahrhundert weitgehend verdrängt.

In den Fokus gerieten betriebswirtschaftliche Aspekte, was insofern nachvollziehbar ist, als Spitäler, Arzt- oder Physiopraxen betriebswirtschaftlich normal operieren: Sie stehen im Wettbewerb, kämpfen auf dem Gesundheitsmarkt mit ihren Angeboten um eine Nachfrage und streben nach optimaler Rendite.

Zwischen diesem dem ersten Blick auf die Betriebswirtschaft und dem zweiten Blick auf die Volkswirtschaft, in der schlicht Gesundheitskosten anfallen, liegt jenes weite Spannungsfeld, von dem nicht nur Professor Hefti spricht: «Im Gesundheitssektor treten sogenannte Marktversagen auf, die dazu führen, dass die Zielkonflikte meistens ungelöst bleiben», ist in einem Positionspapier der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften von 2014 zu lesen.

Dass bei der volkswirtschaftlich tragenden, aber betriebswirtschaftlich belastenden Pflege gespart wird, liegt da ebenso auf der Hand wie die systematisch steigenden Kosten: Die betriebswirtschaftlichen Anreize können das volkswirtschaftliche Ziel gar nicht treffen. Der Wettbewerb funktioniere «nur, wenn auch tatsächlich ein Markt vorhanden ist», brachte es Hefti 2014 auf den Punkt: «genau da liegt der Haken im Gesundheitswesen».

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