Macht, Männer, Medien

Martin Luther King soll gesagt habe, in Erinnerung blieben einem nicht die Angriffe der Gegnerschaft, sondern das Schweigen der freundschaftlich Verbundenen. In diesem Sinn ziehe ich den Hut vor der Zivilcourage der Frauen, die vom Tages-Anzeiger-Konzern Augenhöhe verlangen und Erniedrigung dokumentieren, und veröffentliche nachfolgend ihren erschütternden Brief telquel.

Basel/Bern/Bülach/Interlaken/Thun/Winterthur/Zürich, 5. März 2021

Lieber Marco, lieber Andreas
Liebe Mitglieder der Geschäftsleitung
Lieber Arthur
Liebe Mitglieder der Chefredaktion

Wir wenden uns an Sie und Euch, weil uns die neuesten Entwicklungen im Unternehmen befremden.

Erneut haben mehrere talentierte, erfahrene Frauen gekündigt. Sie gehen aus Resignation und Frustration darüber, dass sich die Situation für die Frauen auf den Tamedia-Redaktionen trotz anderslautender Statements nicht verbessert. Im Gegenteil.

Frauen werden ausgebremst, zurechtgewiesen oder eingeschüchtert. Sie werden in Sitzungen abgeklemmt, kommen weniger zu Wort, ihre Vorschläge werden nicht ernst genommen oder lächerlich gemacht. Frauen werden seltener gefördert und oft schlechter entlohnt.

Es herrscht eine von Männern geprägte Betriebskultur, die sich durch die Pandemie, Homeoffice und Videocalls nochmals spürbar verschlechtert hat. Männer sind auf unseren Redaktionen klar in der Überzahl und besetzen fast alle Schlüsselpositionen. Sie geben vor, was angesehen und geschätzt ist. Männer steigen auf, wie sich etwa vergangene Woche beim Inland-Ressort gezeigt hat, Frauen werden übergangen. Auch bei der geplanten neuen Chefredaktion von BZ und Bund hat sich dies wieder gezeigt. Für leitende Funktionen wurden kaum Frauen berücksichtigt.

Diese Entwicklungen widersprechen den jüngst verkündeten «Mission Statements». Sie widersprechen der schriftlich formulierten Absicht, ein jüngeres und zunehmend weibliches Publikum anzusprechen und zahlungswillige Leserinnen zu gewinnen – wir fragen uns, wie eine derart männlich geprägte Redaktion solche Ziele erreichen will. Diese Entwicklungen hindern uns aber vor allem daran, unsere Arbeit so auszuführen, wie wir dies für richtig erachten: motiviert, hartnäckig, leidenschaftlich.

«Frauenthemen» werden unverhältnismässig hart kritisiert, teilweise niedergemacht. Jüngstes Beispiel: Die Berichterstattung über das 50-Jahre-Jubiläum des Frauenstimmrechts wurde wiederholt als «zu viel»,

«uninteressant» oder «no news» abgetan. Ein Beitrag wurde als «so anspruchslos wie ein Telefonbuch» herabgewürdigt. Interne Zahlen haben aber gezeigt, dass unter anderem das Thema Frauenstimmrecht jüngere Frauen überdurchschnittlich interessiert hat.

Frauen sind oft Gegenstand, selten aber Teil der Diskussion. Das geht so weit, dass über junge Frauen als neue Zielgruppe diskutiert wird, Themen-Inputs der Redaktorinnen aber übergangen werden.

Der Umgangston ist harsch. Frauen berichten von Beleidigungen durch Vorgesetzte, die von anderen Personen mit Cheffunktion entschuldigt und toleriert werden. So hat etwa vor wenigen Wochen ein Mitglied der Chefredaktion einer Redaktorin gesagt, sie sei «überhaupt nicht belastbar» – nachdem sie sich mit einem professionellen Anliegen an ihn gewandt hatte.

Weitere Beispiele und Erlebnisse von Frauen der Tamedia-Redaktionen sind im Anhang aufgelistet. Sie illustrieren das Arbeitsklima auf den Redaktionen.

Die Probleme sind strukturell. In den vergangenen Jahren hat eine ganze Reihe von Frauen aus diesen Gründen das Unternehmen verlassen. Dies führt dazu, dass die Zahl der Frauen auf den Redaktionen weiter abnimmt. Und die verbleibenden Frauen noch mehr unter den genannten Strukturen leiden. Es drohen weitere Abgänge, es droht der Verlust wichtiger weiblicher Stimmen und Expertise.

Wir sind nicht bereit, diesen Zustand länger hinzunehmen.

Unsere Forderungen

Anstand. Wir erwarten, dass unsere Sichtweise und unsere Arbeit ernst genommen werden. Wir erwarten, dass die Beleidigungen und Beschimpfungen aufhören. Wir erwarten, mit Anstand und Respekt behandelt zu werden.

Anonymisierte Umfrage. Wir fordern, dass Tamedia bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen pulse check durchführt, eine anonymisierte Umfrage mit Freitextantworten zum Arbeitsklima. Die Resultate eines solchen

«Stimmungsbarometers» sollen aufzeigen, wo der Handlungsbedarf dringlich ist.

Frauen in Führungspositionen. Seit Jahren – und auch im aktuellen Mail wieder

– gelobt Tamedia, den Frauenanteil zu verbessern – Stichwort «Diversity». Wir erwarten, dass dieser eigene Anspruch endlich erfüllt wird. Wir erwarten, dass bei der Besetzung aller Positionen gezielt nach Frauen gesucht wird. Bilden sich neue strategisch wichtige Teams, sollen diese von Anfang an mit mindestens einem Drittel Frauen besetzt werden.

Förderung von Frauen. Wir erwarten, dass Frauen und Nachwuchskräfte gezielt gefördert werden. Dazu braucht es ein modernes, mit genügend personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattetes Förderprogramm, das konkrete, messbare Ziele hat und über welches regelmässig Bericht erstattet wird. Es braucht ein transparentes Recruiting, familienfreundliche Strukturen und ein klares Bekenntnis der Unternehmensleitung zur Gleichstellung von Mann und Frau.

Standardisierte Verfahren. Bei Fällen von Mobbing, sexueller Belästigung, Stalking, Hassnachrichten oder abwertenden Online-Kommentaren fordern wir ein standardisiertes Verfahren, das die Betreuung durch psychologische Fachpersonen mit einbezieht. Des Weiteren fordern wir eine Diversity-Beauftragte oder einen -Beauftragten, die oder der sich solchen und ähnlichen Anliegen widmet.

Vertrauenspersonen. Tamedia soll aktiv und regelmässig auf die internen Vertrauenspersonen für Betroffene von sexueller Belästigung, Mobbing und Diskriminierung aufmerksam machen. Die Vertrauenspersonen müssen auf dem Intranet prominent erwähnt, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der offiziellen Unternehmenseinführung auf diese hingewiesen werden.

Viele dieser Forderungen sind bereits bekannt. Wir haben sie im Rahmen des Frauenstreiks 2019 formuliert. Sie sind in den vergangenen eineinhalb Jahren noch dringlicher geworden.

Wir erwarten bis zum 1. Mai 2021 konkrete Vorschläge zur Umsetzung unserer Forderungen und eurer «verbindlichen Ziele». Ausserdem erwarten wir, dass die detaillierte Überprüfung des Betriebsklimas bis Anfang 2022 transparent gemacht und gegebenenfalls weitere Korrekturen vorgenommen werden.

Mit freundlichen Grüssen

Salome Müller, Alessandra Paone, Tina Fassbind, Aleksandra Hiltmann, Paula Steiger, Barbara Reye, Paula Scheidt, Andrea Knecht, Lisa Aeschlimann, Andrea Schuhmacher, Flavia von Gunten, Helene Arnet, Joëlle Andres, Catherine Boss, Florine Schönmann, Sharon Saameli, Sara Belgeri, Claudia Blumer, Susanne Anderegg, Aline Bavier, Tina Huber, Sabine Gfeller, Rahel Gnädinger, Simone Rau, Rebecca Pfisterer, Franziska Zaugg, Janine Hosp, Angelika Gruber, Delia Bachmann, Barbara Schluchter-Donski, Sheila Matti, Ev Manz, Sascha Britsko, Mirjam Comtesse, Laura Frommberg, Edith Krähenbühl, Annik Hosmann, Irena Jurinak, Rahel Guggisberg, Nina Kobelt, Alexandra Bröhm, Sandra Rutschi, Pia Wertheimer, Katharina Graf, Stephanie Jungo, Sabina Bobst, Anke Fossgreen, Isabel Strassheim, Sophie Reinhardt, Lea Stuber, Simone Luchetta, Maren Meyer, Chantal Desbiolles, Nicole Döbeli, Anuschka Roshani, Simone Lippuner, Lisa Groelly, Susanne Kübler, Naomi Jones, Stephanie Caminada, Denise Jeitziner, Carole Güggi, Petra Baumann, Mirja Gabathuler, Alexandra Kedves, Silvana Iannetta, Moira Jurt, Martina Regli, Deborah Stoffel, Claudia Schmid, Anna Tschannen, Delia Bachmann, Xymna Engel, Elisabetta Antonelli, Nina Thöny, Janine Zürcher, Nathalie Günter, Andrea Fischer

Anhang: Erlebnisse aus den Tamedia-Redaktionen

Beleidigungen und unangebrachte, sexistische Bemerkungen

«Du als junge Frau kannst doch sicher was aus ihm (älterer Manager) herauskitzeln.»

«Ich wette, du bekommst viel mehr Infos, allein weil du so eine Abwechslung bist zu uns Anzugträgern.» (Männlicher Kollege zu einer Frau, Rock tragend, kurz vor einem Medienapéro in der Finanzbranche)

«Du bist hübsch, du bringst es sicher noch zu was.»

«Man könnte meinen, dass wir unsere Leute wegen ihres Aussehens anstellen.»

Reaktion meines Vorgesetzten, nachdem sich mehrere Männer in einem Arbeitschat sexistisch über mich ausgelassen hatten: «Wichtig ist, dass du jetzt einfach deswegen deine Motivation nicht verlierst.»

Themenrunde in der Wochensitzung: Ein Teamkollege schlägt ein Stück zu Corona-Krediten mit einer Umfrage bei verschiedenen Banken vor. Ich übernehme das Thema. Ein anderer Teamkollege sagt daraufhin: «Dann musst du das Kleine Schwarze hervorholen.»

«Du bist sehr forsch.»

«Du sollst es nicht anders machen als die Männer. Du musst es besser machen.»

«Du bist noch nicht so weit.»

«XY ist halt so, ein harter Journalist. Von ihm kannst du noch viel lernen.»

Chef: «Du bist einfach zu nett. Da wirst du dich nie durchsetzen können bei all den männlichen Kollegen.»

Als jemand das Thema Gendersternchen vorschlug, hiess es erst, es sei schon genug «Klamauk» zum Thema gemacht worden. Das richtete sich nicht per se gegen eine Frau, aber gegen die Art des gendergerechten, integrierenden Schreibens.

Mail vom CR, nachdem ich als freie Journalistin für einen anderen Titel (und nicht als Redaktorin für seine Zeitung) eine Geschichte geschrieben und dabei das Gendersternchen verwendet hatte: Für ihn sei das Sternchen nicht die geeignete Variante. Er erklärte mir dann, wie die Genderschreibweise auszusehen habe.

Bei einem Text, der ausschliesslich von der Perspektive junger Frauen handelte, sagte der ältere Vorgesetzte: «Es ist falsch, was du schreibst.»

Ein Kollege an einem Apéro über einen internen Wechsel: «XY (ein männlicher Kollege) wurde angestellt, weil er gut ist. Bei dir ging es darum, eine Lücke zu füllen.»

Bis heute verfügt unser Unternehmen kaum über Schutzmechanismen oder Ansprechpersonen für solche Fälle. Ich fühle mich meist allein gelassen. Es gibt auch nirgends ein Statement, dass solches Verhalten von der Chefredaktion nicht geduldet wird. Bis heute finden Kollegen es lustig, Sätze zu sagen wie: «Da bei dir im Hintergrund schreit ein Kind, habe ich das mit dir gezeugt?»

Umgangston und Klima

Die Art, wie über Frauen geredet wird, ist oft abwertend und sexistisch. Da werden Managerinnen oder erfolgreiche politische Exponentinnen wiederholt zu «trockenen Guetzli», «Mädel», etc. – und auch nach mehrmaligem Hinweis, dass das nicht korrekt ist.

«Es gibt hier was zu Frisuren. Die Frauen im Team wären gefragt.»

Ein Teammitglied an einer Sitzung: «Ein Thema mit Kindern. Da sollen sich doch die Frauen drum kümmern.»

Ein Blattmacher sagt zu einer Frau an der Morgensitzung mit über einem Dutzend Teilnehmerinnen und Teilnehmern: «Ich bin einfach froh, wenn du dich beschäftigen kannst.»

An Sitzungen wiederholen Männer oft die Ideen, die in den ersten 5 Minuten von Frauen des Meetings vorgebracht wurden. Die Männer ergänzen die Idee nicht, sondern sagen einfach dasselbe, ohne zu erwähnen, dass die Idee von Kollegin xy stammt. Ideen scheinen erst wichtig zu sein, wenn sie von einem Mann «ausgesprochen» wurden.

Manche Diskussionen hinterlassen das Gefühl, dass politische oder historische Themen von Männern goutiert werden als: Da kennt sich einer aus. Gut. Wenn die Frau Vergleichbares vorschlägt: «Ach, das ist aber eher ein schweres Thema.»

«Ich habe auf Slack schon gesehen, dass du dich mit einer Kollegin solidarisiert hast. Das geht nicht.» Wir hatten auf Slack darüber diskutiert, dass Ideen von Frauen im Team oft überhört werden. Anschliessend gab es eine Teamdiskussion.

«Aber ihr seid doch mitgemeint, wenn man das generische Maskulinum benutzt.» – «Nein, ich fühle mich nicht mitgemeint. Du weisst nicht, wie ich mich fühle.» – «Ihr seid mitgemeint. Das ist historisch so.»

Bei uns im Team werden regelmässig Leute von zwei Chefs zitiert und dann harsch angegriffen. Mit einer Ausnahme sind es ausschliesslich Frauen.

Seit unsere Redaktionssitzungen aufgrund von Homeoffice per Video stattfinden, nimmt es mit den Männerbünden Überhand: überbordende Redezeit (teilweise nehmen Frauen gefühlte 10 Prozent der Redezeit ein), Inputs und Vorschläge von Kolleginnen werden ignoriert oder plötzlich zu Vorschlägen von Kollegen.

Ein Text performte schlecht, und ein Chef reagierte mit einem Mail ans ganze Team: Eine gute Platzierung sei eine zentrale Aufgabe der Diensterin, und wenn man nicht zurechtkomme, könne man sich an ihn wenden. Das Pranger-Mail wurde ohne Nachfrage bei der Diensterin versandt; sie hätte dem Chef sagen können, dass der Text durchaus in den T11 platziert war.

Ich tue meine Bedenken bezüglich einer Geschichte sachlich kund. Mein Vorgesetzter: «Mach doch nicht immer so ein Drama um alles!» In unserem Team leider kein Einzelfall.

«Du machst jetzt, was XY dir sagt. Und dann schauen wir in ein paar Wochen, ob es besser geworden ist.»

Themen und Geschichten, die verhindert oder erschwert werden

Es wird uns Journalistinnen nicht zugetraut, entsprechend unseres journalistischen Instinkts und unserer Expertise Themen zu erkennen und journalistisch umzusetzen. Uns wird oft mit Misstrauen begegnet.

Wenn Team-Aufgaben zu verteilen sind, die sich auf Parse.ly nicht niederschlagen: «Wer übernimmt? Kannst du, XY, das übernehmen?» XY ist in den allermeisten Fällen eine Frau. Oder ein ausgesprochen ruhiger Mann. Die übrigen Männer werden mit solchen Aufgaben nicht behelligt.

Bei sogenannt frauenspezifischen Geschichten kommt immer wieder die Frage: «Was ist die News?», «Was ist die Geschichte?» Oder es kommen die Rückmeldungen: «Das muss dann aber schon sehr, sehr gut geschrieben sein, sonst bringen wir die Geschichte nicht.» «Davon hatten wir jetzt mehr als genug.» «Es reicht.» «Das interessiert unsere Leser (sic) nicht.»

Als eine bekannte Frau aus der Schweiz zum ersten Mal über ein viel diskutiertes Thema sprach, kam als erstes die Frage: «Was ist der Dreh?»

In der schriftlichen Blattkritik, die allen Redaktorinnen und Redaktoren zukommt, wurde der Einstieg eines Textes über den historischen Frauenstreik kritisiert: «Wir sollten ob unserer Begeisterung nicht unser Urteilsvermögen aufgeben.»

Ebenfalls in einer schriftlichen Blattkritik der Kommentar zu einem Interview mit einer bekannten Schweizerin über gleichstellungspolitische Anliegen: «Die Fragen kommen harmlos und unkritisch daher.» Dies sei bei zwei

«Gleichgesinnten» zu erwarten gewesen. «Doch die Interviewte rettet das Interview mit ihrer Direktheit, ihrer Authentizität und mit einigen überraschenden Antworten.»

Nach dem Frauenstreik stand in der Blattkritik, dass unkritisch über das Ereignis berichtet worden sei.

Wenn der Tagesleiter sagt, dass man eine aktuelle Studie zum Frauenanteil in Geschäftsleitungen nicht machen soll, weil im Print ja schon zwei «Frauengeschichten» eingeplant sind.

Ich: Was wollen wir im Team zum Internationalen Frauentag machen? Antwort:^«Wir machen keinen Jubiläumsjournalismus.» Ich: «Wir könnten die Idee wenigstens diskutieren.» Antwort: «Du hast ja keine gute Idee. Schreib doch einen Kommentar, wenns dir so wichtig ist.» Später: Ich: «Ich hätte erwartet, dass wir Ideen im Team wenigstens diskutieren. Antwort: «Ja das stimmt. Ich gebe dir recht. Und das, obwohl ich dein Chef bin.»

Ich: «Ich bin an was dran zu sexueller Belästigung im Internet. Je nach Altersgruppe sind rund die Hälfte der Frauen betroffen.» Antwort: «Wer hat dir das erlaubt?»

Rund um die Beiträge zu 50 Jahre Frauenstimmrecht flog eine Geschichte raus mit dem Argument: der Vorgesetzte wolle das nicht. Zu viel zu diesem Thema.

«Stud…wie würde man das sagen? Also die Studierende? Das klingt doch doof. Hahahahaha.»

Unsere Redaktion orientiert sich seit einiger Zeit an den sogenannt «grünen Themen», also: Bauen, Verkehr, Konsum. Die dürfen so oft wie möglich abgehandelt werden, weil sie Klicks generieren. Mit Vorsicht einzubringen sind dagegen die «roten Themen», also: Soziales (darunter auch Migration,

«Frauenthemen») und Umwelt. Begründung: Für den Aufwand klicken sie zu wenig.

Keine Entwicklungsmöglichkeiten

Darüber, wohin ich mich entwickeln könnte, wurde mit mir nie gesprochen. Nur, was ich für neue Themen übernehmen könnte bzw. sollte. Meine erste trimediale Reportage wurde nicht mal wirklich kommentiert (war für ein anderes Ressort, auf eigene Zeit, aber trotzdem).

Wenn man dir eine Weiterbildung untersagt, da du dich kurz vorher zu einem Thema, das die Redaktion betraf, kritisch geäussert hast – und dies auch so begründet.

Als unsere Ressortleitung kündigte, wurde mein männlicher Kollege als Nachfolge in Betracht gezogen, ich wurde gar nicht erst informiert oder gefragt. Ohne Begründung.

Ich versuche seit Jahren, mich im Team bemerkbar zu machen. Leite Sitzungen, helfe bei der Planung von Sommerserien, übernehme die Praktikantenbetreuung. Für die Kaderweiterbildung wurde ich trotzdem nicht in Betracht gezogen, stattdessen wird nun mein männlicher Kollege gefördert.

In unserem Team sind von drei Netzwerkmitgliedern (ehemals «Experten» mit 500 Fr. Lohnerhöhung) alle männlich.

Schon länger möchte ich mein Pensum aufstocken. Wiederholt hiess es, im Team fehlten dafür die nötigen Prozente. Bei Männern, die in der Zwischenzeit aufstocken wollten, waren sie sonderbarerweise vorhanden.

Lohn

Die Frauen im Team verdienen bei gleicher Qualifikation, Erfahrung und Leistung deutlich weniger als die Männer. Nachfrage beim Vorgesetzten und Bitte um Angleichung. Die Antwort: «Das ist doch ein guter Lohn, Kollegin XY (aus einem anderen Team) verdient auch nicht mehr.»

Dank Zahlen der Peko ist mir aufgefallen, dass ich monatlich 500 Franken weniger verdiene als mein Kollege. Ich wurde gleichzeitig mit ihm angestellt und bin mindestens so qualifiziert wie er. Als ich es ansprach, ging die Redaktionsleitung 170 Franken nach oben.

Als Antwort auf die Frage nach einer Lohnerhöhung beim Übernehmen einer zusätzlichen, einmal wöchentlich ausgeübten Stellvertreterinnen-Funktion mit viel Verantwortung: «Zeig mal zuerst, ob du das überhaupt kannst. Dann schauen wir weiter.» Nachdem ich gezeigt hatte, dass ich es kann: «Du hast es ja bislang auch für diesen Lohn gemacht. Eine Lohnerhöhung hätte mit der Funktionsübernahme stattfinden sollen.»

Wenn du eine Leitungsfunktion übernimmst und man dir beim Thema Lohnerhöhung sagt, dass es für dich reicht – also «Lohnerhöhung» genug ist –, Teamleiterin geworden zu sein.

Chef: «Dass du weniger verdienst, hat nicht nur damit zu tun, dass du eine Frau bist, sondern auch damit, dass du in Bern arbeitest». Der Kollege (gleich alt, gleiche Arbeit, weniger lange im Betrieb) verdient massiv mehr (und ich meine: massiv). Seit Jahren hat es «kein Geld», um die Missstände anzupassen.

Ich: «Verdienen Männer hier denn mehr als Frauen, wie ist es so mit der Lohngleichheit?» Antwort, schreiend: «Du musst den Vertrag ja nicht unterschreiben.»

Wiederholt habe ich erlebt, dass jüngere Männer, die neu eingestellt werden, bei gleichen Qualifikationen massiv mehr verdienen als ich. Auf meine wiederholten Forderungen nach mehr Lohn wurde bis heute nicht eingegangen. Begründung: Es fehle am Geld. Warum können dann neue männliche Mitarbeiter so viel besser entlohnt werden?

Ich habe im Zeitraum um den Frauenstreik eine Festanstellung bekommen. Mir wurde per Mail ein Lohn zugesichert, nur der Vertrag fehlte noch. Als sich bei der Lohnumfrage der Peko herausstellte, dass mein künftiger Lohn dem Durchschnittslohn entsprechen würde, wurde er vom CR nachträglich heruntergesetzt. Begründung: «Es kann nicht sein, dass der Einstiegslohn gleich hoch ist wie der Durchschnittslohn.» Mir wurde ein tieferes Lohnangebot gemacht als einer vergleichbar qualifizierten Kollegin, die kurz vor mir eingestellt worden war. Nur weil wir uns während des Frauenstreiks intensiv über Löhne ausgetauscht hatten, wusste ich davon und bestand bei der Verhandlung darauf, zumindest denselben Lohn wie meine Kollegin zu erhalten.

Seit zwei Jahren übernehme ich stets mehr Aufgaben, auch solche, die mir als «Leitungsfunktion» verkauft wurden. Keine Lohnerhöhung. Auch auf den versprochenen «normalen» Vertrag warte ich seit zwei Jahren, trotz mehrfacher Nachfrage bei verschiedenen Stellen und versprechen, dass ich den bekomme, sobald jemand aus dem Team geht. Was mehrfach der Fall war. Wie wäre das bei einem Mann?, frage ich mich.

Mein Aufgabenbereich hat sich in den letzten Jahren stark vergrössert, es wird gefordert, dass ich mehr Kompetenzen übernehme, Zusatzaufgaben und immer mehr Verantwortung. Ich darf aber keine finanzielle Entlohnung erwarten – die Verantwortung ist schliesslich Lohn genug. Fragen nach einer Lohnerhöhung wurden allesamt verneint, mein Kollege hat dagegen eine Lohnerhöhung bekommen.

Vor zwei Jahren, im Rahmen des Frauenstreiks, richteten sich die Frauen von Bund und BZ mittels Forderungen an die GL und die Chefredaktion. Ich wurde daraufhin vom Chefredaktor zum Gespräch geladen. Die Forderung nach transparenten Löhnen, einem fixen Einstiegslohn oder zumindest nachvollziehbaren Lohnbändern wurden abgelehnt mit der Begründung: «Ich will ja noch die Chance haben, zu verhandeln.»

Chef: «Du willst mehr Lohn? Am besten kündigst du und bewirbst dich später wieder hier. Dann bekommst du sicher mehr.»

4 Kommentare

  1. Das ist eine voll bepackte, nicht enden wollende Ladung. Sie liest sich wie ein maskuliner Gruselfilm. In der TX-Group scheint reichlich Überdruck vorhanden zu sein, von Zürich bis nach Bern, die Romandie in ihrer ganzen Grösse umfassend. Der letzte Abschnitt zu den Löhnen ist ein Abgrund, der von höchster Stelle kommentiert werden müsste. Seite 1, rechte Spalte? Herr Supino, übernehmen Sie das?

    • …kindisch, denn das Kindliche ist naiv: der reine Tor. Hier aber steht bei allen Beteiligten und in der todkranken Massenmedienszene so viel auf dem Spiel, dass sich niemand Naivität leisten kann noch will. Indes mag sie à la Dopppeldenk vorgegaukelt werden, und zwar hüben und drüben.

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