Alter, weisser Mann: schweigen

Eigentlich hätte ich gar nichts zu sagen, meinte ich letzthin zu meiner Geliebten und Mutter unserer erwachsenen Kinder: ich als älterer weisser Mann und Boomer. Zurecht hätte ich nichts zu sagen, namentlich hinsichtlich der Notwendigkeit einer positiven Diskriminierung, die heilsam sein könne für das, was Männer wie meinesgleichen seit Menschengedenken und nach wie vor anrichten.

Gleichzeitig käme ich mir unfair behandelt vor, sagte ich meiner Geliebten, mit der ich seit 30 Jahren nicht nur das Bett teilen darf, sondern auch die Erwerbs- und die Familienarbeit. Ich war von allem Anfang an immer auch Hausmann, und wenn es in meiner Jugend überhaupt eine Karriereplanung gegeben hat, stand darin höchstens eine Familienkarriere.

Das Schicksal meinte es in der Folge gut mit mir: eine hochqualifizierte, motivierte Berufsfrau an meiner Seite, wohlgeratene Kinder – mir kommen fast die Tränen. Freilich staunte ich in den Jahren unserer Brutpflege bisweilen: ins Mutter-Kind-Turnen zu gehen, weigerte ich mich schliessslich, als die Leiterin fortgesetzt von Mamis sprach, die dies zu tun und das zu lassen hätten.

Wir haben uns Erwerbs- und Familienarbeit immer geteilt.

Hausmann und Exot

Als Hausmann beim Einkauf mit dem Kinderwagen war ich noch in den 1990er Jahren ein Exot; dabei hätte ich schon beim allfälligen Brüten über Lebensplänen in den 1970er Jahren keinen Gedanken daran verschwendet, Erwerbs- und Familienarbeit könnten etwas mit dem Geschlecht zu tun haben.

Ich bin in den 1960er Jahren herangewachsen, und völlig plausibel waren mir in der Fälscherwerkstatt meiner Erinnerung die Frauenanliegen jener Zeit – damals längst auf die intellektuellen Spitzen getrieben und den Punkt gebracht von Denkerinnen wie Iris von Roten oder Simone de Beauvoir: geradezu grotesk die Vorstellung, eine Frau habe dem Manne untertan zu sein, habe zuhause am Herd und bei den Kindern zu bleiben und im Falle von Erwerbsarbeit den Mann um Erlaubnis zu fragen – die Ewiggestrigen schrauben derweil mit mächtigen Mitteln in ihrer Fälscherwerkstatt.

Meine starke, stolze Grossmutter.

Selbstverständlich starke Frauen

Kinder sind nicht zu unterschätzen, und ich war offenbar ein kluger, aufmerksamer und freundlicher Junge mit einer grandios starken Mutter und einer beeindruckenden Grossmutter, die schon in den 1920er Jahren in Skihosen den Männern um die Ohren fuhr. Überdies wuchs ich zusammen mit drei Schwestern und einem Bruder auf, war immer gern mit Mädchen zusammen und himmelte früh des Weibliche an – eine Göttin, für die ich als 13-Jähriger schwärmte und die mich erhörte, teilt heute ihr Leben mit mir.

Ohne mir oder anderen gross darüber Rechenschaft darüber zu geben, war ich sozusagen ein geborener Feminist – kein Verdienst also, nur Fügung und Erfahrung unantastbarer Würde und Gleichwertigkeit und dazu etwas Überhöhung: Das ewig Weibliche zieht uns schliesslich hinan.

Kleinbürgerliches Idyll: Ich bin der Kleine links auf Grossättis Arm, und Mueti rechts ist da wohl wieder schwanger.

Generischer Feminist

Mein gewissermassen generischer Feminismus kommt freilich nicht immer gut an: Als ich im Studium der Medienwissenschaften an der Uni Bern um 1985 dem Gast Senta Trömel-Plötz, eine feministische Sprachikone, eine ernsthafte Frage stellte, vermeinte sie eine chauvinistische Falle und attackierte mich, statt auf die Frage einzugehen – ich verstand die Welt nicht mehr, habe aber inzwischen Verständnis. Und wenn ich während meiner jahrzehntelangen Redaktionszeit mit Praktikantinnen der Journalismus-Ausbildung, die an einem Pult neben mir sassen, jeweils über gendergerechter Sprache sinnierte und auf klugen Umsetzungen beharrte, schauten mich die jungen Frauen nicht selten schräg an.

Ich habe nichts zu sagen als alter weisser Mann, ich weiss. Allerdings versteht ihr jetzt vielleicht, wieso ich das persönlich unfair finde. Systemisch jedoch ist und bleibt es richtig und wichtig.

NB
Dass ich hier nicht schweige, begründe ich etwas schwerfällig damit, dass ich niemand reinrede und niemand nötige, mir zuzuhören.

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