Werbungeheuer: von Geringschätzung

Wahrheit und Lüge sind dehnbar, beide erscheinen letztlich als mehr oder weniger valide und reliable Thesen, also als mehr oder weniger gut messbare und nachvollziehbare Behauptungen.
Im Alltag gehen wir Menschen indes in der Regel von Wahrheit aus: dass wir meinen, was wir sagen, und weder uns noch andere vorsätzlich belügen – dazu gibt es sogar einen juristischen Begriff: Treu und Glauben.

Nun gibt es allerdings weite Felder, in denen die Wahrheit nicht die Regel ist, ohne dass die Lüge dazu würde: wenn im Fussball Schwalben produziert werden, um Vorteile herauszuspielen, oder wenn Regierungen aus Staatsräson lügen etwa hinsichtlich Lösegeldzahlungen, weil sie Kidnapper nicht motivieren wollen, oder hinsichtlich Geheimdienstlichem, wo Lüge das einzig Wahre ist.

Moralische Entrüstung ist da verständlich, von sozusagen kindlicher Normalität – während Entrüstung in systemischen Fällen, wo es nicht um persönliche Befindlichkeiten geht, eher kindisch ist, weil von einer Naivität, die sich bei Erwachsenen ausgewachsen haben sollte.

Von Kindlichem und von Kindischem

Neben der Politik und dem Sport ist die Werbung der wohl bedeutendste Bereich, in denen nicht von Wahrheit ausgegangen werden darf – denn das wäre kindisch.

Gute Werbung schafft es allerdings, uns auf Ebenen zu erreichen, in denen wir kindlich geblieben sind und mithin das Kindische gar nicht erkennen können – oder nur mit grosser Anstrengung und langsamem Denken.

Weil gute Werbung viel bringt, ist das Niveau im entsprechenden Feld hoch – kein Wunder, sehen manche die Werbetreibenden als Kunstschaffende: Sie schaffen es nicht nur, uns auf kindlich-emotionalen Ebenen zu berühren, sondern lenken uns dabei sogar noch in eine bestimmte Richtung und zu einem ganz bestimmten Entscheid: Wir kaufen es ihnen ab, sei es nun ein materielles oder ein geistiges Produkt.

Von Narren und von Idioten

Das obige, schon etwas ältere WerbUngeheuer freilich haben nicht Kunstschaffende der Werbebranche gemacht, sondern Narren – die sich von Idioten dadurch unterscheiden, dass sie nicht wissen, was sie tun.
Zwar haben die Werber fürs öffentlich-rechtliche Glücksspiel handwerklich korrekt versucht, eine kindlich-emotionaler Ebene zu erreichen: Freizeitkapitän, reich sein, Sorglosigkeit, Freude, Exklusivität.
In klassischer Art haben sie diese Verlockung verbunden mit einem vermeintlichen Gegenteil, das abgrundtief blicken lässt: Arbeit, Schweiss, Dreck, Lärm, Härte.

Kindlicher Narr oder kindischer Idiot

Dass mir diese Kombination von öffentlich-rechtlichem Glücksspiel und Geringschätzung von Arbeit als herausragendes Werbungeheuer vorkommt: Ist das kindische oder kindliche Entrüstung – oder beides, weil ich persönlich getroffen bin und die Geringschätzung auch systemisch wirkt?

2 Kommentare

  1. Lieber Peter – Wieder mal voll ‚ins Schwarze getroffen‘. Schön! Eigentlich ist es ‚Wurst‘, ob wir uns als Gesellschaft und Individuen kindlich oder kindisch verhalten – beides ist für eine freie Gesellschaft und Demokratie fatal. Habe kürzlich zufällig ein Video gesehen, das es sehr gut auf den Punkt bringt: solange wir noch unterwürfig an ‚Autoritäten‘ glauben, bleiben wir Sklaven … Kenne den Hintergrund von Mark Passion nicht – das Video dünkt auf jeden Fall sehenswert: https://www.youtube.com/watch?v=WGqQI18YoN4

  2. …ist mir etwas zu apodiktisch, der Redner im Video. Ich meine und hoffe, meine Beiträge hier seien es nicht – sondern der Versuch, Informationen per se fliessen zu lassen, auf dass sie ggf. konstruktiv wirken: nach den Prinzipien vitaler Systeme sozusagen, in denen Apodiktisches gar keine Dimension ist.

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