Interlaken: vom Scheitern im Tourismus

Die Zeichen schienen eindeutig: Im Tourismus sind Regionalität, Authentizität, Kultur laut Umfragen und Studien gross im Trend und besonders gefragt. Dies auch und gerade in ländlichen Gebieten, die bisweilen geflutet werden von Touristenmassen – wie zum Beispiel Interlaken.

Weil ich ein Berner Oberländer bin und seit Jahrzehnten in Interlaken lebe, und weil ich sowohl mit Tourismus zu tun habe als auch mit Kultur, lag es für mich folglich nahe: den hiesigen Gästen etwas Authentisches, Regionales und Kulturelles bieten – Uhren, Schoggi und Remmidemmi zu Lande, zu Wasser und in der Luft gibt es schliesslich schon genug.

Als ich im Februar 2019 nach über 30 Jahren touristischem Fachjournalismus und über 20 Jahren beim gleichen Arbeitgeber freigestellt und entlassen wurde, nahm ich das auch als Chance und lancierte How to become Swiss in 30 minutes: eine authentische Show für ausländische Gäste in Interlaken, eine unterhaltsame und kulturell anregende Vorstellung unserer Region für Gross und Klein, eine Alternative als Schlechtwettervariante und Zusatzangebot im Reiseprogramm von Individualreisenden und Gruppen – so das Ziel.

Kulturelles Regionalprodukt

Als touristischer Fachjournalist und als Kulturschaffender wollte ich es natürlich richtig machen – mann will ja geradestehen und hat einen Ruf zu wahren, und sei er auch noch so ruiniert. Mithin schrieb ich die Show mit Herzblut, liess sie vor der Premiere im Juni 2019 mehrmals einerseits von Fachleuten der Theater- und Kulturszene sowie der Tourismusbranche begutachten. Andererseits prüfte ich im Kontakt mit bestandenen touristischen Anbietern in Interlaken Veranstaltungsorte, Termine, Zeiten – und nicht zuletzt baute ich eine zeitgemässe Vermarktungsplattform für das Produkt.

Weil der Interlakner Tourismusorganisation als Promotor und Multiplikator eine wichtige Rolle zukam, kontaktierte ich sie bereits früh – Monate vor dem Saisonstart, aber im Wissen, dass es für da Gruppengeschäft zu spät sein würde. Ich erläuterte der Tourismusorganisation das Projekt, bat um Rat und Unterstützung und um Aufnahme im touristischen Warenkorb der Weltmarke Interlaken.

Die Reaktionen waren vielversprechend: Zu einer Visionierung der Show kamen etliche Mitarbeiterinnen der Tourismusorganisationen und gaben wertvolle Ratschläge, die das Programm entscheidend beeinflussten und entwickelten. Überdies nahm die Tourismusorganisation die Prospekte der Show auf und erklärte sich bereit, das Angebot an den Schaltern zu verkaufen.

Dasselbe galt für etliche Beherberger: Die Prospekte sollten vom Frühsommer an in den meisten Hotels und vielen Restaurants aufliegen, und bei einigen Beherbergern sollten ebenfalls Tickets erhältlich sein – natürlich immer gegen anständige Kommission.

Eine Irritation tauchte indes früh auf: Die Tourismusorganisation hatte Mühe zu verstehen, dass der Vertrieb und Verkauf nicht über den lokalen Spezialisten erfolgen sollte, der eine Art Monopol zu haben scheint. Das wäre ein ordnungspolitischer Sündenfall, der sich akzentuierte, als ich in den Webeiten der Tourismusorganisation Interlaken zu dem Spezialisten geleitet und dort so festgehalten wurde, dass es kein Zurück zur Tourismusorganisation mehr gab.

Weil ich seit meinem ersten MacPlus in den 1980er Jahren publizistische Technologien fast manisch verfolge und mich als Digital Creative verstehe, und weil ich zudem wegen meiner Freistellung Zeit hatte, baute ich mit weitgehend kostenlosen oder preisgünstigen Werkzeugen selbst eine mehrsprachige Plattform samt Buchungs- und Bezahlmöglichkeiten – etwas, das vor wenigen Jahren noch Abertausende von Franken gekostet hätte und vor ein paar Jahrzehnten überhaupt noch nicht möglich gewesen wäre.

Alles möglichst richtig machen

Auch diese Plattform prüfte ich, schliesslich sollte alles klappen mit dem Buchen und Bezahlen, dem Ausdrucken der Tickets oder dem Speichern auf den Handys. Die Technik kam zum Klappen, die Show entwickelte sich, und auch beim Standort ergab sich Erfreuliches: Da war zum einen Familie Corti im Kino Interlaken, die mich mit Erfahrung und Interesse unterstützte und mit dem kleinen Kinosaal eine tolle Location bot, wie Tests ergaben. Zum anderen zeigte aber auch das Stadthaus Unterseen mit René Schudel und seiner Crew sofort Interesse. Sie wollten nicht nur den kleinen, rollstuhlgängigen Saal herrichten, sondern auch zwei Menüs, welche die Gäste zusätzlich zur Show buchen konnten – Älplermakronen mit Käse oder mit Speck.

Vorab weil der Abgleich zwischen Kinovorführungen und der Show nicht recht zu schaffen war, aber auch mit Blick auf das Stadthaus und die touristisch vernachlässigte historische Altstadt Unterseen entschied ich mich für Letzteres: Am Sonntag, 2. Juni 2019, stieg die erste Show im Stadthaus.

In einer Mischung aus Diashow, Pantomime und Sprachunterricht lernten die Gäste eine ganze Reihe wichtiger Wörter: etwa „Chäs“, „Milch“ und „Chueh“, um den kratzenden Kehllaut einzuführen; oder „Salut“, „Service“ und „Zahle“, um im Restaurant als genderaffines Schweizer Gewächs durchzugehen. Überdies waren da in Wort und Bild noch Schweizer Erfindungen wie Alufolie oder die Computermaus sowie hiesige Naturschönheiten: Brienzer-, Thuner- und Oeschinensee, Burg- und Hinterburgseeli; wegen des Diminuitivs auch Kuonesbergli und Mettenberg, nicht zu vergessen das grosse Dreigestirn daneben.

Schöne Show, schreckliche Bilanz

Die Show kam insgesamt von Anfang an ganz gut an. Die Gäste hatten Spass, vor allem mit Kindern, Familien und Gruppen entstanden tolle Dynamiken. Allerdings funktionierte nicht alles sofort: Wie bei den Visionierungen mit den Fachleuten ergaben sich Verbesserungen, so gaben arabische und asiatische Gäste Hinweise zum Verständnis von Witzen. Die Show entwickelte sich mithin und passte schliesslich, wie auch gefällige Bewertungen zeigten – zu meinem Vermarktungspaket gehörten selbstredend Plattformen wie Tripadvisor oder Google.

Da waren nur zwei Probleme: Zum einen kam einfach niemand. Die Show war zwar mit jeweils zwei Vorstellungen an drei Wochentagen so positioniert, dass sie in Reiseprogramme passen konnte und Rücksicht nahm auf verschiedene Abendessenszeiten. Zwar war auch die Werbung vor Ort ganz passabel: Praktisch überall lagen mehrsprachige Prospekte aus, überdies hingen Veranstaltungsplakate, und nicht zuletzt standen an der Hauptachse zwischen Ost- und Westbahnhof Interlaken drei grosse Tafeln, die auf die Show hinwiesen. Aber trotzdem fand praktisch niemand den Weg über die Aare ins Stadthaus, vor dem ebenfalls eine grosse Tafel stand, die in Arabisch, Chinesisch, Deutsch, Englisch, Hindi, Japanisch und Koreanisch die Show bewarb – die Übesetzungen hatte ich durch Profis und durch Gäste prüfen lassen.

Zum anderen war die Show im Warenkorb der Tourismusorganisation beim Saisonbeginn nicht vertreten. Zwar hätten Interessierte in den Tourismusbüros zwischen Aeschi und Bönigen Prospekte mitnehmen und in Interlaken Tickets kaufen können. Zwar schaltete die Tourismusorganisation im Laufe des Sommers ein Werbebild auf ihren Bildschirm im Interlakner Tourismusbüro und nahm die Show in den Veranstaltungskalender auf. Aber in die zentralen Rubriken der Familienangebote und Schlechtwetterprogramme sowie der kulturellen Veranstaltungen schaffte es die Show nicht, und auch mit Blick auf Gruppenveranstalter blieb sie unsichtbar.

Was ins rechte Licht gerückt wird.

Die Rolle der Tourismusorganisation

Natürlich hatte ich bereits im Spätwinter 2019, als ich bei der Tourismusorganisation anklopfte und die Show für den Saisonstart im Juni positionieren wollte, davon gesprochen: Reiseveranstalter und übergeordnete Tourismusorganisationen sollten wissen, dass es da ein neues Angebot gab, und wer online nach Familien-, Schlechtwetter- oder Kulturangeboten in Interlaken suchte, sollte auf die Show stossen.

Von wegen selbstverständlich: Wer „Comedy Show in Interlaken“ suchte oder „How to become Swiss in 30 minutes“, fand und findet zwar überall auf der Welt die Show. Wer in Interlakner Hotels und Restaurants die Prospekte studierte, konnte der Show ebenfalls begegnen. Und auch die Durchsicht des Veranstaltungskalenders oder der Spaziergang über den Höheweg ergab Treffer, zumal ich vor den Shows oft im Interlakner Zentrum stand und lauthals weibelte – das Schweizer Fernsehen filmte es einmal sogar, thematisierte es aber nicht. Und welcher Gast, der nach Interlaken kommt, sucht schon nach Comedy, und wer vertieft sich in den Veranstaltungskalender?

Beim Planen der Show hatte ich mit Blick auf die touristische Nachfrage und die Interessen mit einem Promille gerechnet – dass also einer von tausend übernachtenden Gästen im Raum Interlaken die Show besuchen könnte. Und dabei ging ich selbstverständlich davon aus, dass das Angebot auf den zielgruppengerechten, systemischen Kanälen präsent sein würde: im Gruppengeschäft sowie bei den Familien-, Schlechtwetter- und Kulturangeboten. Denn damit ein Gast von eintausend kommt, müssen tausend davon wissen.

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Wer wohin gekarrt und ausgeladen wird.

Unsichtbares Tourismusangebot

Von wegen: Bis zum Saisonschluss im Herbst schaffte es das Produkt nicht in den touristischen Warenkorb, und als ich vor ein paar Wochen einen Termin hatte mit einem Verantwortlichen der Tourismusorganisation, war mein Eindruck der einer Premiere für beide: zum ersten Mal davon gehört, zum ersten Mal darüber gesprochen – Pustekuchen, seither herrscht wieder Funkstille.

Natürlich ist die Tourismusorganisation nicht für meinen Flop verantwortlich. Schon im Vorfeld waren bei lokalen touristischen Anbietern, die ich anfragte, und bei mir Zweifel laut geworden: Eine solche Show, die ähnlich in vielen touristischen Grossstädten läuft, funktioniert in Interlaken vielleicht nicht – trotz dem Ziel eines einzigen Promilles Nachfrage und trotz der vermeintlichen Attraktivität von Authentizität und Regionalität.

Nach einem Sommer lautet das Fazit, dass die Show zugleich funktioniert und nicht funktioniert: Wer kommt, ist in der Regel begeistert. Aber es kommt praktisch niemand. Ich hatte in etwa 60 Vorstellungen insgesamt vielleicht 100 Gäste, vereinzelt kamen Familien, kleine Gruppen oder Paare. Meistens jedoch blieb ich allein – ausser Spesen nichts gewesen. Die Tourismusorganisation und die Beherberger verkauften kein einziges Ticket, und auch die Schweizer Menüs konnte das Stadthaus kein einziges Mal kochen.

Und nun stehe ich also hier, ich armer, arbeitsloser Tor, und bin so klug als wie zuvor: sein oder nicht sein, lautet die Frage. Ich hatte mich ja nach der Sommersaison nochmals an die Tourismusorganisation gewandt, hatte im persönlichen Gespräch mein Angebot erläutert, Rückschau gehalten und Ausblicke gewagt, Risiken und Chancen erwogen, Bedürfnisse formuliert.

Nicht alle fallen weich.

So hat das keine Zukunft

Was werden soll, weiss ich noch nicht, fest steht immerhin: Wenn die Tourismusorganisation, deren Mitglied ich natürlich bin, die Show nicht mitnimmt und in ihrem Warenkorb präsentiert, kann ich mir das Ganze schenken – und eine weitere verstörende Lebenserfahrung in meinen Rucksack packen.

Denn irgendwie habe ich den Eindruck, die Tourismusorganisation habe hier eine ihrer zentralen Aufgaben nicht gelöst, ja nicht einmal recht angepackt.

1 Kommentar

  1. Peter – Du weisst, dass ich Deine Idee super finde! Einerseits Deine Show, dann aber auch das Primat eines Tourismus, das auf regionale Stärken baut. Es ist ein Teil einer ‚evolutionary economy‘, wie ich es nenne. Dabei ist jedoch das Prinzip der ‚Connectivity‘ sehr wichtig: offene Informationskanäle. Wenn diese nicht offen sind, respekive bestehende Plattformen, aus Partikularinteressen diese nicht öffen, dann ist das ein grosses Handycap. Allerdings nicht nur für jene autonomen, regionalen Anbieter, die etwas beizutragen haben – sondern auf die Dauer auch für die erwähnten Platformen selbst: Sie riskieren sich selber aus dem Spiel zu bringen, wenn sich die autonomen Anbieter selber zu organisieren beginnen… Siehe zB Tripadviser oder Spooted by Locals …
    Also: Weiter machen! Und warum Deine geistreiche Show nicht in Bern anbieten, zB im Hotel Bellevue Palace ..
    Gruss ins Oberland! Mike

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