Tourismus: das Wichtige statt das Richtige

Über 30 Jahre lang habe ich mich journalistisch mit Touristischem befasst, und meine Aufgabe war es dabei in der Regel, einen Überblick zu schaffen: nicht von einer Destination oder einer Absteige, die mich einlud und entsprechende Berichterstattung erwartete, sondern von einer Destination oder einer Beiz also solcher – als Unternehmen, als Organisationsform, als Apparat.

Jahrzehntelange Tourismusbeobachtung

Die Aufgabe war interessant, traf ich doch einerseits von Bruno Franzen und Urs Kessler über Johann Schneider-Ammann und Adolf Ogi bis zu Ariane Ehrat und Martin Anholt Menschen mit bedeutendem Wirkungskreis. Andererseits konnte ich mir von grossen und kleinen Bergbahnen über grosse und kleine Gastwirtschaftsbetriebe bis zu städtischen und ländlichen Tourismusorganisationen viele interessante Überblicke verschaffen und eine ganze Branche jahrzehntelang beobachten.

Die Gelegenheiten der Beobachtung waren dabei sowohl im Persönlichen als auch im Institutionellen meist verbunden mit Besonderem: besondere Versuche, besondere Erfolge oder Niederlagen, besondere Anlässe oder Wegmarken – touristischer Fachjournalismus halt, gespiegelt nicht zuletzt an Tourismuswissenschaft, nach dem Ende der Ära von Jost Krippendorf vorab der HSG St. Gallen mit Thomas Bieger, Pietro Beritelli und Christian Lässer.

Letztere waren unter den wenigen Fachleuten, die meinen ruppigen Rausschmiss aus der Branche Anfang 2019 persönlich bedauerten – der weiland höchste Schweizer und Präsident des Schweizer Tourismusverbandes wiederum meinte damals, man werde mich nicht fallenlassen, wurde aber seinerseits umgehend in die Versenkung spediert; womit wir beim Thema sind.

Ende mit Schrecken bei einer richtigen Tourismusorganisation

Dieser Tage behandelten die Regionalmedien und die Fachpresse den gleichzeitigen Abgang des operativen und strategischen Leiters einer der wichtigsten Destinationen in der Schweiz: Direktor Urs Pfenninger und Verwaltungsratspräsident Roland Berger schmissen gemeinsam den Bettel der Tourismus-Adelboden-Lenk-Kandersteg AG (Talk) hin – eine Schlagzeile und ein paar Artikel unter vielen.

Der Tenor war dabei sowohl in den Publikums- wie in den Fachmedien zum einen der Eklat, zum anderen ventilierten Medienschaffende und Fachleute Ursachen und Hintergründe mit jener Oberflächlichkeit, die das fortschreitende Tagesgeschäft der Medien und des Tourismus erzwingt.

Die Grundfrage, was denn da los sei, wurde dabei zwar gestellt, aber nicht ernsthaft erwogen oder gar beantwortet – das entsprechende Interesse fehlt sowohl bei den Medienschaffenden als auch bei den Fachleuten: Diese hasten zur nächsten Sau, die durchs mediale Dorf getrieben wird, jene nutzen die Medien als Transportmittel eigener Interessen, schliesslich sind sie als Touristiker besonders darin geübt, schöne Geschichten zu erzählen und zu verkaufen.

Tourismusorganisation: das Wichtige tun, nicht das Richtige

Nun lässt sich die Grundfrage, was denn da los sei, zwar recht einfach beantworten, aber an der einfachen Antwort hat niemand Interesse oder gar Freude:

Die Tourismusbranche weiss spätestens seit den 1930er Jahren und der faszinierenden Arbeit von Hubert Gölden über Strukturwandlungen des schweizerischen Fremdenverkehrs, dass Kooperation auch und gerade im Tourismus der Königsweg ist.

Aber gleichzeitig ist allen Profis klar, dass Tourismus ein Wettbewerb unter Gewerbetreibenden ist, in dem Kooperation unter dem Gesichtspunkt des eigenen Interesses erwogen wird – samt der Leistungen von übergeordneten Apparaten wie Tourismusorganisationen.

Das ist ein Dilemma, das nicht zu lösen ist und gerade deswegen nachhaltig bewirtschaftet werden kann: vorab von Tourismusmanagern, Beratern und Politikern, die immer wieder behaupten, das Dilemma zu überwinden. Weil es ganz selten unternehmerische und personelle Konstellationen gibt, in denen Kooperationen greifen und Eigeninteressen zurückstehen, mögen manche der Profis tatsächlich glauben, das Dilemma sei zu überwinden. Aber insofern da ernsthafte und kluge Fachleute am Werk sind, muss ihnen das Wesen des Dilemmas klar sein: Es ist nicht aufzulösen, es ist systemisch.

Dilemmata bewirtschaften

Pfenninger und Berger, die mitten im Berner Oberland aufgegeben haben, sind verschiedentlich als kluge Analytiker aufgefallen, und dass sie mit einem Knall gehen, unterstreicht ihre Seriosität ebenso, wie die einfältigen Sprüche und Schuldzuweisungen manch Betroffener wahlweise Dummheit oder Unverfrorenheit nahelegen: Wer sich nachhaltig in Tourismusorganisationen halten will, darf nicht das Richtige, sondern muss das Wichtige tun – vor allem die Fahne nach dem gewerblichen Wind in der eigenen Destination richten, ob da nun mächtige Bergbahnen den Marsch blasen oder ob einfältige Dorfkönige Talwinde produzieren.

Abhaken und zur Tagesordnung übergehen? Jawohl, aber daran denken, dass die dummdreisten Tourismusapparate viel kosten und bezahlt werden müssen: namentlich von den Gästen sowie von ohnmächtigen touristischen Kleingewerblern und Steuerzahlenden.

2 Kommentare

  1. Hallo Peter – meinerseits nicht so tief reflektiert, aber dennoch: Die Chance liegt doch in der Kooperation möglichst autonomer, lokal verankerter, diverser Regionen und den Gewerbe. Swiss-Pass hat nichts mit Kooperation in diesem Sinne zu tun, sondern mit digitaler Gleichschaltung für einen (erhofften oder verhassten?) Massentourismus. Oder sehe ich das falsch? Grüsse aus dem Unterland! Mike

    • Tourismus ist nolens volens geprägt von einem quasi ontologischen Bedürfnis der Gäste nicht nur nach horizontaler Kooperation vor Ort, sondern auch nach vertikaler auf dem Hin- und Rückweg. In beiden Bereichen operieren a priori Gewerbetreibende, die den Kooperationsgedanken nur aus betriebswirtschaftlicher Sicht verfolgen, was auf horizontaler Ebene das Resort als sozusagen reine Lehre erschienen liess, auf vertikaler Ebene wiederum die Integration der Servicekette vom Reisebüro über den Transporteur bis zum Beherberger – entsprechende Integrations- und Desintegrationsbewegungen hat etwa Kuoni über mehrere Unternehmensgenerationen exemplarisch vorgemacht.

Kommentar verfassen