Standortförderung: simulierter Kuhhandel um Bundesmillionen

Die Schweiz ist ein Mythos für mich: Die Geschichten von Freiheit und Unabhängigkeit und Demokratie haben gewirkt bei mir – ich nehme das noch immer ernst.
Aber oft fühle ich mich etwas lächerlich in dieser Ernsthaftigkeit, die gemacht ist aus Tausenden von Seiten Lektüre und Hunderten von Stunden Interviews und Gesprächen:

  • unter Medienschaffenden, die vor allem dadurch auffallen, dass sie zu den Medien wollen, aber weder sprachlich noch medienwissenschaftlich noch historisch sattelfest sind – geschweige denn philosophisch.
  • unter Menschen, die weder Zeit noch Musse noch Ressourcen haben, um die rasenden Läufe der Zeit, der Ereignisse und der Deutungen zu ordnen – ein Job, den nicht zuletzt die Medienschaffenden erledigen sollten.
  • unter Politikern, die nur ausnahmsweise gefestigte Persönlichkeiten sind, weil es in der Regel nur in politische Ämter schafft, wer als Resonanzkörper gesellschaftspolitische Schwingungen aufnehmen und diese in Wahlen sowie Abstimmungen nutzbringend umsetzen kann.

Als kleines, aber schlagendes Beispiel dafür, wie die Politik tendenziell desto liederlicher handelt, je grösser die Verantwortung ist, erscheint die Standortförderung: Alle vier Jahre geht es hier darum, einige 100 Millionen öffentliche Franken bereitzustellen. Der Bund schwurbelt diesbezüglich von dem „Ziel, die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit der KMU-geprägten Volkswirtschaft zu erhalten und zu steigern“, und setzt treuherzig nach: „Dadurch trägt sie zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei.“

Einmal abgesehen vom klassischen Politsprech, das in seiner Kantenlosigkeit den erwähnten Resonanzkörper bestens abbildet, lässt sich trefflich über das Wohl und Wehe der Standortförderung diskutieren.
Zum einen tut das die Verwaltung, die dazu verdammt ist, die Schwingungen des politischen Zeitgeistes leidlich aufzunehmen, um nicht allzu hart anzuecken. Überdies arbeitet sich die Verwaltung auch hochprofessionell an den politischen Fragestellungen ab: Es wimmelt beim Bund vorab auf mittleren Ebenen an hochqualifizierten und ernsthaften Fachleuten, die ausgezeichnete Arbeit leisten – erst auf höheren Ebenen wird es peinlich politisch, was systemisch zu enormem Leerlauf führt, mit dem sich die mittleren Ebenen abstrampeln müssen, während die Politik in einer teuflischen Rückkoppelung den Leerlauf je nach Wetterlage denunziert oder initiiert.
Zum anderen interessiert die Standortförderung die betroffenen Kreise: Weil Schweiz Tourismus ordnungspolitisch zu schweigen hat, spricht hier der Schweizer Tourismus-Verband und fordert möglichst viel Geld.

Leerlauf um gut 300 Millionen Franken

Allerdings ist das Ganze ein vorbildlicher systemischer Leerlauf: Die Standortförderung steht nämlich immer am Schluss der vierjährigen Legislaturen auf dem Programm. Und weil es in National- und Ständerat um Wiederwahl geht, gilt es einen guten Eindruck zu machen und die Spendierhosen anzuziehen.
Die Diskussionen sind mithin Spiegelgefechte, am Schluss kommen allenfalls minime Veränderungen dessen heraus, was am Anfang im Raum steht.

Dieser sinnlosen Simulation von Auseinandersetzung macht die Bundespolitik nun kein Ende, obschon das einfach wäre: nur den Termin der Standortförderung anders setzen, zum Beispiel in die Mitte einer Legislatur.
Dass die Politik diesen simplen Entscheid nicht fällt, hat aber eben just mit dem politischen Wesen dieser Resonanzkörper zu tun: Mitzuschwingen ist einfacher als Musik zu machen, und es geht bei der Standortförderung ja nur um gut 300 Millionen Franken.

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