PH: sinnloses, schädliches Lernen

Es versteht sich von selbst, ist quasi «ontologisch» gegeben, «evident» oder ein «epistemologischer», also erkenntnistheoretischer Gemeinplatz, dass Institutionen der Wirklichkeit hinterherhinken: Institutionen bilden etwas ab und bilden es nach, handle es sich nun um Staaten mit Gesetzen über Cybermobbing oder Schulen mit Lernzielen zum Computerprogrammieren.

Ebenso gegeben ist Beharrlichkeit der Institutionen: Weil sie starre Strukturen schaffen müssen, um die Wirklichkeit nachzuvollziehen, können sie schwerlich beweglich bleiben. Systemisch gesehen ist Flexibilität von Institutionen also ein Widerspruch in sich selbst.
Doch darüber hinwegzusehen und so zu tun, als könne eine Institution doch flexibel sein, ist zwar nicht systemisch und also vermeidbar. Aber es ist sehr beliebt: weil vor allem Frauen sich einsetzen, dass Institutionen bringen, was sie könnten und sollten, weil vor allem Männer gerne behaupten, etwas besser zu wissen – und nicht zuletzt, weil damit permanente Beschäftigung ohne radikalen Fortschritt möglich ist: ein grandioses Geschäftsmodell.

Viren und andere systemisch wirksame Überraschungen

Dass insofern systemisch wirksame Überraschungen wie das Corona-Virus wirkliche Veränderung bringen, ist folgerichtig: Mann kann dann den sogenannten Killer-Dreisatz nicht mehr bringen und behaupten: «Das haben wir noch nie so gemacht, wenn das jeder wollte, und so aber sicher nicht!»

Die zuoberst geschilderten Phänomene des Nachvollziehens und der Unbeweglichkeit indes sind und bleiben unvermeidlich, und ihre Verbindung führt zu einem rückwärtsgewandten Beharren, fachidiotisch mit «Dogmen» und «Ideologien» «konnotiert»: Die Institutionen beharren auf etwas, das sie einmal strukturierten, als sie die Wirklichkeit nachmachten – zum Beispiel die Sprache.

Zurzeit wirkt die systemische Ausgangslage hinsichtlich der Sprache besonders stark: Das Umfeld des Mediums Sprache verändert sich in unserer Epoche mit einer Radikalität, wie sie mutmasslich zuletzt rund um dem Buchdruck vor rund 500 Jahren wirkte.

Die PH Bern scheint das zwar überhaupt nicht wahrzunehmen. Aber vielleicht verdrängt sie es, empathisch gedacht, aber item. Über die entsprechende Ignoranz mag ich mich hier nicht aufhalten, sondern diesbezüglich nur an die sinnfällige These McLuhans erinnern, wonach sich beim Erscheinen neuer Medien in einem Feld alle anderen Medien frisch positionieren müssen.  

Systemisch bedingtes sinnloses, schädliches Lernen

Ganz konkret: Es ist zunehmend sinnlos, überflüssig und schädlich, den Schülerinnen und Schülern (SuS als gendertaugliches, einschlägiges Kurzwort) Regeln der Rechtschreibung beizubringen:

Vorab bietet praktisch jede digitale Schreibanwendung inzwischen die Option einer mehr oder minder automatischen Korrektur. Sich mühsam anzueignen (und Lernen ist neurobiologisch immer mühsam), wann ein «h» zu setzen ist, wann ein «ie» oder ein Doppelkonsonant, ist einfach nicht mehr notwendig. Der Verzicht aufs Büffeln erleichtert nun nicht allein das Lernen in anderen Bereichen. Die grandiosen, vor kurzem noch völlig undenkbaren Errungenschaften (übrigens auch der Übersetzung) machen es auch überflüssig, das semantisch, syntaktisch, morphologisch oder phonetisch durcheinandergeschüttelte Regelwerk einigermassen plausibel zu erklären – die grundsätzliche Schwierigkeit hier ist übrigens eine Folge der einleitend geschilderten Phänomene vom Nachvollziehen: Sprache entsteht ja nicht in der Schule, sondern kann erst nach ihrer Entstehung in der Wirklichkeit im Studierzimmer untersucht werden.

Freilich ist die naheliegende Erkenntnis, die jedem Kind einleuchtet, im wirklich epochalen Lehrplan21 zwar verankert, in den Institutionen jedoch nicht angekommen: Ich bin als Student angehalten, das sinistere grammatikalische und orthografische Regelwerk zu durchdringen, und an vielen Schulen müssen die SuS mitziehen und dürfen dabei das Handy nicht einmal brauchen – groteske Realsatire.

Dass sich die Studierenden entziehen, liegt auf der Hand, zumal sie unzählige digitale Schlupflöcher zur Verfügung haben, die zu praktisch jeder Aufgabe stufen- und sachgerechte Lösungen bereithalten. Davon vielleicht an anderer Stelle gelegentlich mehr, bleiben wir bei der überflüssigen, «obsoleten» Paukerei von Rechtschreibregeln.

Sie zu lernen, ist nicht nur deshalb überflüssig, weil sie in der digitalen Welt ähnlich leichthin vermittelt werden wie etwa die Regeln von Apps. Das sinnlose Pauken kostet aber auch und vor allem wertvolle Lernzeit.
Im Rahmen von Unterordnung unter Autoritäten ist Sinnlosigkeit ein gewolltes, «voluntaristisches» Phänomen. Doch jenseits von militärischen und anderen autoritären Strukturen hat sich das zum einen überlebt, auch und nicht zuletzt systemtheoretisch. Und zum anderen atomisieren sich die Autoritäten in unserer Epoche, wie neben McLuhan auch Jean Gebser überzeugend darlegte: Der Lehrer, der Pfarrer, der Wirt und der Gemeindepräsident werden abgelöst von anderen Stammesführern etwa beim Fussball, in der Musik und anderen Stammesfeldern menschlicher Kultur – ein weites, dringend zu beackerndes Feld für die PH, aber bleiben wir näher bei der Sache:

Angesichts verschwindender Bücher und steigender Propaganda bräuchte es Lernzeit namentlich im Bereich Hörverstehen – Pisa hat eben wieder gezeigt, welch beunruhigende Defizite hier herrschen. Die PH freilich behandelt das, wenn überhaupt, aus meiner Warte als künftiger Deutschlehrer phänomenologisch und stellt sich damit eigentlich gegen den Lehrplan21, aber item nochmal.

Voilà die PH als Institution aus Stahl und Beton – samt einem Menschen im Vexierbild.

Für das Leben lernen

Nun behaupte ich keineswegs, die Auseinandersetzung mit der Rechtschreibung und anderen Regelwerken sei insgesamt überflüssig. Ganz im Gegenteil, zumal es Grammatiken nicht nur in der Sprache gibt: Wie und warum etwas gebaut ist, fragt sich vielerorts – kennt übrigens ausser mir noch jemand das japanische Buch «Grammatik des Lächelns»?

Nerds und Liebhaber wie ich oder Lehrkräfte an der PH und anderen Hochschulen, die auf Semantik und Semiotik stehen und fasziniert das Werden und Vergehen von Sprache verfolgen, sind und bleiben unverzichtbar. Sie legen nämlich einerseits systemisch die Grundlagen für formale Anwendungen, wie sie Google oder Microsoft umsetzen – und andererseits sorgen sie ordnungspolitisch für faire Verhältnisse, was von Konzernen nicht zu verlangen ist.
Insofern ist es ebenfalls unverzichtbar, dass künftige Lehrkräfte sich ernsthaft mit Grammatik beschäftigen – und nicht nur mit der Grammatik der Sprache.

Aber in der Wirklichkeit, nämlich der Schule draussen, muss es glücklicherweise kaum mehr um Gedehntes und Flexiertes, um Gebeugtes und Starkes und Schwaches gehen. Wie es just der Lehrplan21 vorsieht, sind vielmehr Kompetenzen gefragt: etwas hören oder lesen und verstehen, etwas sagen oder schreiben und sich verständlich machen.

Der Anspruch ist hoch genug: seit jeher und solange es Menschen gibt – der Grunder ist systemisch.

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