PH: babylonische Überforderung, Verwirrung, Verzweiflung

Ein Seminar, das ich auf dem Weg zum Fachdiplom Deutsch besuche, behandelt das sogenannte Fremdverstehen. Kurz gesagt, geht es hierbei um Empathie: sich einzufühlen, ohne zu werten – im Gegensatz etwa zur Sympathie, die zuneigend wertet.

Freilich erweist sich im Laufe des Seminars, dass der ursprüngliche Ansatz zu kurz greift, Fremdverstehen allein auf Literatur zu beziehen und mithin Gedichte oder Geschichten auf Empathie abzuklopfen: Empathie hat im Laufe des Seminars viel weitergehende, tragende Bedeutung erhalten. Empathie seitens der Lehrkräfte ist demnach einerseits unverzichtbar – eine notwendige, aber natürlich nicht hinreichende Voraussetzung im Lehrberuf (Deutsch etwa sollte mann ebenfalls können).

Andererseits ist Empathie aber auch eine Fertigkeit, die kaum zu lernen ist, wenn sie im Mensch nicht als Fähigkeit angelegt und glücklich ausgebildet worden ist – das glückliche Adjektiv ist mit Bedacht gewählt.

Empathie ist zentral, aber kaum zu lernen

Das Dilemma liegt auf der Hand: Unverzichtbare  Kompetenzen von Lehrkräften kann die PH Bern beim besten Willen nicht vermitteln (sprachlich bleibe ich empathisch bei Lehrkräften, denn das hat Kraft und gründet nicht im sklavischen Rom der Lehrperson, aber item).

Weil Empathie kaum lernbar ist, finden an der PH intensive Berufsabklärungen samt Praktika von insgesamt einem Jahr statt. Und auch weil Empathie entscheidend ist, vermisse ich die früheren Seminarien: Sie bildeten den Schulalltag prototypisch ab und schufen mit ihrer Kleinheit systemisch eine Nähe, die das Empathische und andere unverzichtbare, aber kaum zu lernende Qualitäten an den Tag brachte – um die epistemologische Gefahr der Nähe und die phänomenologische des Unsympathischen weiss ich dabei sehr wohl.

Aus dem bisherigen Verlauf des Seminars ergibt sich für mich hinsichtlich des Schulalltags: Empathie bedeutet insbesondere, den Klassengeist an jedem Tag und in jeder Stunde neu zu erkennen und das Beste daraus zu machen – die Klasse und die SuS und die Lernziele auf dem Weg zur SuS-Kompetenz in einer ständigen kybernetischen Übung so austarieren, dass individueller Lernerfolg ohne Traumatisierung möglich ist, und zwar bei den Schulkindern und beim Lehrkörper.

Das ist eine radikale Überforderung und war es schon immer: Mann behalf sich über die wenigen Jahrhunderte, in denen überhaupt breit unterrichtet wird, meist mit schierer Gewalt.

Doch in meinen ersten Wochen an der PH hat noch niemand diese Überforderung thematisiert – ausser der früheren Primarlehrerin, die in die Didaktik wechselte, nun an der PH doziert und sich um die Praktika kümmert.
Im Gegenteil wird an der PH tendenziell idealisiert und terrorisiert, was den künftigen Lehrerinnen und Lehrern und mithin auch deren Schülerinnen und Schülern einen Bärendienst erweist.

Schäbige Simulationen, schäbige Reaktionen

Was das Idealisieren angeht, stösst die von der PH schwergewichtig dargelegte Laborsituation im Klassen- und im Lehrerzimmer auf eine chaotisch anmutende Wirklichkeit: Die PH gibt einerseits vor, die Lehrkräfte hätten Präzisionsgewehre, dabei schiessen sie mit Schrot. Und andererseits tut die PH so, als stünden die Lehrkräfte allein mit einem SuS in einem Schiessstand, dabei befinden sich alle in einem ständigen, asynchronen Mehrfrontenkrieg – wobei die kriegerische Terminologie durchaus mit Bedacht gewählt ist angesichts von Kampfeltern oder PR und Werbung kommerzieller oder politischer Natur.

Die Studierenden und die Dozierenden wüssten durchaus um diese sinistere Simulation, und die gegenseitige Doppelbödigkeit schaffe Distanz zwischen Studierenden und Dozierenden, klärte mich ein ernüchterter ehemaliger PH-Dozent diesbezüglich auf. Deshalb beschränkten sich die Studierenden in der Regel auch darauf, an der PH jene ECTS-Punkte abzuholen, die für den Passierschein in die Berufswelt nötig sind, und die Dozierenden schlängelten sich durch.

Ich kann zwar didaktisch und ordnungspolitisch weder die Simulation noch die Reaktion darauf akzeptieren, aber ich erkenne die Plausibilität der doppelseitigen Bankrotterklärung durchaus. Ich bringe jene Empathie auf, die nicht nur für Lehrkräfte unverzichtbar ist und von der an der PH nicht nur in meinem Seminar viel, viel die Rede ist: Ich verstehe, warum sich Studierende und Dozierende derart inkongruent verhalten.

Miserable Vorbilder

Aber ich kann es nicht gutheissen: Ein Professor, dessen Fachbereich seit Semesterbeginn durch besondere Schludrigkeit auffällt, rügte mich, ich dürfe ihm eine Arbeit nicht per Mail schicken, wie ich das getan hatte, sondern müsse einen anderen digitalen Kanal wählen: «Das haben von den 30 Studierenden, welche ich betreue 26 ohne Problem geschafft ;-)», belehrte er mich wörtlich. Ich entschuldigte mich umgehend, einer der wenigen Problembären zu sein.

Einen peinlichen Mantel des Schweigens legte ich jedoch über die fehlerhafte Rechtschreibung des PH-Professors, über die unangemessene Tonalität mit einem Emoticon – und vor allem über die Herabsetzung und Stigmatisierung, zu welcher der PH-Professor didaktisch gegriffen hatte: Davor wird an der PH intensiv gewarnt, wobei mir allerdings schon mehrfach aufgefallen ist, dass just die Warnenden besonders zu solch didaktisch-pädagogischen Sündenfällen zu neigen scheinen.

In einem Seminar, in dem ebenfalls viel von Empathie die Rede ist, fragte die dozierende Lehrperson nach guten und schlechten schulischen Erlebnissen. Ich meldete ich mich nach langem Zögern und nachdem sich wieder einmal niemand melden wollte – ein ebenso häufiges wie eigenartiges Phänomen an einem Ausbildungsort für künftige Lehrkräfte, die doch alle viel sprechen und darauf zählen werden, dass sich SuS melden.

Ich erzählte davon, dass ich nach meiner Matura anno 1982 umgehend für Stellvertretungen angefragt worden sei – in Adelboden, wo ich aufgewachsen war. In der Folge hätte ich an den Oberstufen dieses Bergler- und Bauerndorfes jeweils den erstbesten halbwüchsigen Burschen, der mich auch nur ein bisschen provozierte, vorsätzlich eine Ohrfeige gegeben.

Das sei durchaus kontrolliert und mit einer klaren didaktischen Konzeption geschehen, erläuterte ich: Die Altersdifferenz zu den Burschen habe nur wenige Jahre betragen, die radikale didaktische «Löschung» habe mithin einen ordentlichen Schulbetrieb gewissermassen erst ermöglicht. Im Übrigen sprächen mich die inzwischen längst Erwachsenen bisweilen noch heute auf diese Schulzeit mit mir an, und selbst mit Geohrfeigten hätte ich schon geschwelgt in den alten Zeiten und gelacht über die derben Scherze und Provokationen.

Trotz dieser recht umfassenden Einordnung, die insbesondere auch darauf abzielte, eine Gespräch über Sinn und Werte und ihren Wandel in Gang zu bringen, legte die dozierende Lehrperson keinerlei Empathie an den Tag, wie ich es selbstverständlich erwartet hatte.
Vielmehr wurde sie persönlich, verurteilte mein Verhalten scharf, warf mir Kontrollverlust vor und liess erst von mir ab, als ich daran erinnerte, die Ohrfeigen seien fast 40 Jahre her – und etwa 10 Jahre zuvor habe mann die Schweizer Frauen noch gar nicht als vollwertige Menschen anerkannt ohne Stimm- und Wahlrecht.

Altmodisches an der neumodischen PH: drrrrrrrr Bund für altmodische Insider.

Vernunftbegabte und gefühlvolle Menschen

Auch wenn es immer einfacher ist, über Phänomene zu sprechen und einander sozusagen zu spüren, und auch wenn es unverzichtbar ist, diese Dimension zu thematisieren, geht es gerade an einer PH nicht an, beim Phänomenologischen stehenzubleiben, sich darauf zu beschränken und das alles nicht einmal zu merken, sondern gar noch bewusstlos einer rabenschwarzen Pädagogik zu frönen:
Phänomene sind Besonderheiten, die nur dann leidlich zu verallgemeinern sind, wenn entweder Autoritäten sie zu Glaubensfragen stilisieren und also Ideologien und Dogmen daraus werden – was immer wieder schreckliche Resultate bringt, sind wir doch alle nur Menschen und eben keine Autoritäten.

Oder wir versuchen mittels wissenschaftlicher Methoden namentlich der Messbarkeit und der Wiederholung aus den Besonderheiten der Phänomene das Allgemeine zu erkennen – was zu Erkenntnis führt, mithin epistemologisch ist.
Das muss mit Verlaub ein zentrales Anliegen jeder Hochschule sein – und einer pädagogischen erst recht.
Was mir aber begegnet an der PH und sich im Online-Betrieb akzentuiert, ist eher bodenloser wissenschaftlicher Formalismus und akademischer Hochmut, gepaart oder assoziativ oder kausal verbunden mit vielfältiger Überforderung, Verwirrung und Verzweiflung: Wir sind allesamt vernunftbegabte und gefühlvolle Menschen.

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