Über Medien: zur Botschaft

Die ganze Sprache sei «ein Simulationsmodell», meinte der kanadische Literaturwissenschaftler Hugh Kenner. Und selbstredend könnten nur Schriftstücke diesem Modell gerecht werden, führte er in Anlehung namentlich an Spinoza aus: «Wie das mathematische System alle möglichen Rechenoperationen enthält, so sind im System der Sprache alle möglichen (…) Äusserungen enthalten.»

Wenn wir von Botschaften sprechen, ist dabei meist von Sprache die Rede: «Die Botschaft hör ich wohl», ruft Faust dem Engelschor zu, «allein mir fehlt der Glaube», zweifelt er am Christentum. Doch so unauffällig, selbstverständlich und schwerwiegend es ist, dass Botschaften ausschliesslich in ihren Medien funktionieren können, so unauffällig, selbstverständlich und schwerwiegend ist es, dass ein Verständnis für die Botschaft nicht einfach gegeben ist.

Stumme Medien, verständnislose Botschaften

«Die Seele ist an ihren Körper gefesselt und mit ihm verwachsen, gezwungen die Wirklichkeit durch den Körper zu sehen wie durch Gitterstäbe, anstatt durch ihre eigene ungehinderte Sicht», klagte vor über 2300 Jahren Platon: Wer blind ist, kann visuelle Botschaften nicht wahrnehmen, im Vakuum schreit es sich unhörbar. Und überdies entsteht das Bild im Auge des Betrachters, ist Wahrnehmung individuelle Realität – und Realität insgesamt etwas, was wir nie gänzlich wahrnehmen können.

Seit mit den Systemen der Schrift ein Transport von Botschaften durch die Zeit möglich geworden ist, haben entsprechende Systeme eine Dominanz entwickelt. Besonders durchsetzen konnte sich, was Botschaften relativ unstrittig abbildete: vorab die Naturwissenschaften mit ihren messbaren und wiederholbaren Phänomenen.

Diese besonders auf den Naturgesetzen fussenden Systeme mit ihren klar nachzuvollziehenden Botschaften trugen etwa zur technischen Entwicklung massgeblich bei. Gleichzeitig war und ist ihre Dominanz aber immer umstritten, und schon immer war klar, dass es viele andere Systeme gibt, in denen eine verbindliche Wahrnehmung umstritten ist.

Was ist die Botschaft von Musik, die Botschaft dieser Männer, dieser Fotografie?

«Ich war nicht in der Lage, die Ursache dieser Eigenschaften der Schwerkraft anhand von Phänomenen zu entdecken, und ich formuliere keine Hypothesen», steckte Isaac Newton höchstselbst den Rahmen seiner Botschaften ab: «Was aus den Phänomenen nicht abgeleitet wird, ist als Hypothese zu bezeichnen, und Hypothesen, ob metaphysisch oder physisch, ob okkulter Qualitäten oder mechanisch, haben keinen Platz in der experimentellen Philosophie.»

Kaltes auf den Kopf, Heisses auf den Bauch

Um sozusagen den Grad der Wahrnehmung von Botschaften festzulegen, hat Herbert Marshall McLuhan als Analogie das System der Temperaturen vorgeschlagen. Demnach sind Medien, also Botschaften tragende Systeme desto kälter, je mehr Engagement, je mehr Intellekt zur Wahrnehmung der entsprechenden Botschaften erforderlich ist: Um eine mathematische Botschaft nachzuvollziehen, ist Abstraktionsvermögen unverzichtbar. Eine Fotografie jedoch oder eine Geräuschkulisse in Form einer musikalischen Botschaft erkennt jedes Kind – und im Gegensatz zum kühlen Medium ist beim heissen Medium die Wahrnehmung weit stärker sinnlich-kulturell verortet als mathematisch-logisch.

Dass etwas «cool» sei oder «heiss», kommt insofern nicht von ungefähr. Dass hier die Botschaften dabei zugleich klar sind und wissenschaftlich nicht zu verorten, aber auch nicht. «An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen»[, mahnt schon die Bibel und schlägt eine systemische Methode vor, um trügerische Botschaften zu erkennen.

Die mathematisch-logische Unwägbarkeit vieler Systeme und ihrer Botschaften machen sie untauglich für die Naturwissenschaften. In der Psychologie und ihren Versuchsanordnungen jedoch hat sich seit jeher die phänomenale Wirkung heisser Botschaften erwiesen. Jean Gebser hat diesbezüglich vier Bereiche vorgeschlagen, die ständig wirksam sind:
ein archaisches Feld, das keine oder allenfalls eine geruchlich-animalische Dimension hat; ein magisches Feld, das akustische Dimension hat, in dem alle zugehörig sind und alles miteinander verbunden ist; ein mythisches Feld, das sprachliche Dimension hat, uns entspricht und erzählen lässt; und ein rationales Feld, das visuelle Dimension hat, uns einsehen lässt und einsichtig werden.

Design von Botschaften

Vor allem Politik und Werbung trachten nach möglichst heissen Botschaften: «Sex sells» ist hier ebenso alltäglich wie oberflächlich und tiefgreifend. Alltäglich, aber weit weniger plakativ als suggestiv dagegen sind Methoden wie das Wahrnehmungs-Management von Regierungen oder Konzernen. Das nach wie vor ebenso überragende wie unheimliche Handbuch in dieser Sache dürfte nach wie vor Walter Lippmann Die öffentliche Meinung sein, während das literarische Standardwerk George Orwell geschrieben haben dürfte: Im Roman «1984» transportiert der Brite in einem literarischen System umfassend die Botschaft, wie die Wahrnehmung von Menschen zu beeinflussen ist.

Die Analyse von Botschaften und ihren Medien, das Forschen nach der Grammatik dieser Systeme zeigt, wie sehr eine grundlegende Auseinandersetzung fehlt: Die Menschen thematisieren gegebenenfalls die Flut von Botschaften; sie reagieren prompt, also instinktiv oder impulsiv auf diese und jene Botschaft von links oder rechts, auf dieses und jenes System von Mac oder PC, auf diese und jene Person, die eine rhythmische Botschaft vermittelt von Eminem bis zu Shakira.

Aber obschon Botschaften und Medien nicht nur unseren Alltag beeinflussen, sondern auch unsere Haltungen, ist sogar die Auseinandersetzung mit den Medien selbst eher oberflächlich: Die Diskussionen drehen sich hier um Objektivität oder Fake, um die Zukunft von Zeitungen oder Geschäftsmodelle im Internet.

Die Grammatik von Botschaften jedoch, mithin die obigen Überlegungen, sind kaum ein Thema. Im deutschen Sprachraum, wo angeblich Dichter und Denker leben, geht die Ignoranz soweit, dass «understanding media», schlechthin das Standardwerk dieser Grammatik, in Deutsch seit Jahren nicht mehr verlegt wird – einem Grossteil derer, die als Lehrkräfte auch an Hochschulen zu Medien referieren, sagt McLuhan nichts.

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