Nicht für die Schule, für die PH lernen

Wahrscheinlich wäre mir manches leichter gefallen, hätte ich Ende der 1970er Jahre das Seminar Spiez statt des Gymnasiums Interlaken gewählt – so müsste ich nicht im fortgeschrittenen, andernorts praktisch pensionsreifen Alter noch an die pädagogische Hochschule, um eine passable berufliche Zukunft zu gewährleisten, aber das nur nebenbei:

Ein allzu grosser Schritt

Der Schritt vom paternalistischem Elternhaus im Adelboden ins Unterland war so gross, dass mir die Orientierung ohnehin schwerfiel. Und wäre ich am Spiezer Semer mit seinem relativ strikten Ausbildungsrahmen gelandet, hätte ich mich wohl weniger in Optionen verloren als am Gymer Interlaken – er war zwar ähnlich klein und mithin persönlich wie der Semer, aber bot doch einen ungleich weiteren Rahmen.

Diskutiert wurde die Schulwahl freilich in Adelboden zuhause oder in der Sekundarschule mit uns Kindern nicht: Die Neunmalklugen schickte mann aus Adelboden traditionellerweise nach Interlaken, die Halbschlauen nach Spiez. Dass mir das damalige Diktat geschadet hat, will ich keineswegs sagen: Obwohl ich mangels ausreichender schulischer Leistungen niemals das beruhigende Gefühl erlebte, dazuzugehören und mithin die Sweaters und T-Shirts mit dem schönen, popartige Gymer-Logo immer schmerzhaft provisorisch trug, entstanden damals Fundamente, die mich bis heute tragen.

Altbewährte bildungspolitische Fundamente

Andere Fundamente sind indessen zerbröselt: Das Seminar Spiez gibt es nicht mehr, und jetzt, da ich in der lichtdurchfluteten Bibliothek der PH Bern allein unter stillen Studierenden die Tastatur klickern lasse und eine Lücke zwischen zwei Vorlesungen fülle, möchte ich erinnern:

Bibliothek der PH Bern

Ausgehend von der Reformation kurz nach der Wende zum 16. Jahrhundert, entschieden die Gnädigen Herren von Bern nach einigem Lavieren und Diskutieren, die päpstlichen Reichtümer zu kassieren und den Untertanen im Gegenzug nach der Predigt das Lesen der Bibel beibringen zu lassen. Lange nach der Bibelschule, die um 1530 am Anfang des kantonalbernischen Hochschulwesens stand (Basel hat seit 1460 eine Uni), kam 1833 das erste Lehrerseminar, 1834 die Universität Bern – und 1995 der Entscheid des bernischen Kantonsparlaments, als vorläufig letzte kantonale Hochschule eine PH ins Auge zu fassen.

In der Folge ging eine hochkompetente, vielfältig zusammengesetzte Arbeitsgruppe an die Arbeit und erarbeitete einen mehrhundertseitigen Bericht: Der Vorschlag lautete, in Anlehnung an die bewährten Seminarien auch im 21. Jahrhundert dezentrale Ausbildungsstätten zu erhalten. Dort sollte sozusagen das Herz- und Handwerk gelehrt und gelernt werden, während der Kopf im Rahmen der Hochschule zum Zuge kommen und Wissenschaftliches zentral in Bern vermittelt werden sollte.

Wichtige Motive dieses Vorschlags waren Erfahrung und Praxisorientierung der Seminarien: Wer als künftiger Kindergärtner oder als künftige Oberlehrerin diese Schulen durchlief, wäre auf den stabilen handwerklichen und institutionellen Fundamenten der Seminarien gestanden und hätte zusätzlich das wissenschaftliche Rüstzeug mitbekommen.

Lehren nicht lernen, sondern studieren

Das komme nicht infrage, beschied der Kanton, vertreten durch den legendären Beamten M., die konsternierte Fachgruppe: Es gehe nicht um fachliche Eignung, sondern um ein Studium, wie es sintemalen etwa Luzern oder die Nordwestschweiz mit ihren Pädagogischen Hochschulen bereits praktizierten.

Der Vorschlag der Fachleute wurde gespült, und eine neue, handverlesene, kleine Arbeitsgruppe erarbeitete die PH Bern, sekundiert von einem parlamentarischen Vorstoss des freisinnigen Volksschulehrers S. aus Brienz am See.

Der Rest ist Geschichte: Breit in der Öffentlichkeit diskutiert wurde weder der Murks des Kantons noch die neue Marschrichtung – und nun sitze ich in der 2005 eröffneten PH Bern und muss gleich in die nächste Vorlesung.

PS
Geblieben bis heute ist immerhin der christliche Einschlag: Die Evangelikalen haben auf dem Campus nicht nur eine prominent platzierte Basis, sondern auch viel Gewicht – ein Dozent fällt im Internet gar mehr durch seine Prediger- als durch seine Dozententätigkeit auf.

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