Jealous Bob = GSoA ?


von Marcel Prost

Sowohl die akademische wie auch die lebensnähere Küchen-Psychologie erwähnen beim Thema Eifersucht Verlustängste.
So weit, so immer schon einleuchtend. Offenbar ist bei Eifersucht in Bezug auf den Partner wichtig, wie attraktiv dieser ist. So weit, so besitzergreifend der Gedanke. Bei Bob Dylan interessiert es mich persönlich zero, auf welche seiner zahlreichen Model-Girlfriends der grosse Barde mehr- oder weniger oder überhaupt eifersüchtig war und ist. Und es geht mich auch nichts an.
Die Attraktivität vom Heiligen Bob himself lag ja vorstellbarer weise weniger an seinem Äusseren als an seinem Geist (und Geld..). Das absolute Wunderkind der amerikanischen New Folk-Bewegung Ende Fünfziger/Anfang Sechziger des letzten Jahrhunderts komponierte amphetamingeboostert einen Knallersong nach dem anderen. Es geht die Legende, dass er bei der Entstehung eines neuen Songs den vorherigen bereits wieder vergessen hatte. Auf jeden Fall war Bob Dylan ein besserer Songwriter als Motorradfahrer…
Ich würde mich nicht als der grösste Fan des Mannes auf Minnesota bezeichnen – und doch verehre ich ihn. Ja – eine Mischung aus Bewunderung und Dankbarkeit. Denn nebst seiner Musik sind natürlich seine Texte von höchster Qualität. Ich gebe dabei gerne zu, dass ich bei weitem nicht alle seine Songs „verstehe“. Wer könnte dies schon von sich behaupten?
Trotzdem höre ich zum Beispiel bei „Visions Of Johanna“ jedem Wort und jedem Ton zu und habe dabei das Gefühl, das passt. Auch ohne textlich den absoluten Durchblick zu haben.
Es gibt atmosphärische Lyrics, wie das bei den Angelsachsen viel passender heisst, die braucht man gar nicht unbedingt zu verstehen. Ganz gleich in welcher Sprache. Und Hermeneutiker gehören eh allesamt auf den Mond geschossen. Das sind die mit der „Theorie der Interpretation von Texten und des Verstehens“. Idioten. Sprachwissenschaftler sind wie Musikinstrumentensammler, die selber null spielen können und dann den Musikern erklären, was Sache ist.
Es gibt ja auch noch diese – den Linguisten in der Verblödung ebenbürtigen – „Dylanologen“, die ihr ganzes trauriges Dasein dahingehend verschwenden, den grossen Meister zu analysieren und zu interpretieren. Bekennende Vollpfosten quasi. Was Bob Dylan selbst von diesen anmassenden Hirngroupies hält, kann sich jeder selber denken. Mein Kommentar: Ekelerregend.
Wie elend muss es sein, auch noch vom ganzen Rest der Welt in Beschlag genommen zu werden. Dies führte bei Bob Dylan zu seiner legendären Auszeit (siehe aber auch weiter oben „Fähigkeiten als Motorradfahrer“). Als er sich dann langsam wieder aufrappelte, sich dieser kranken Welt zu präsentieren, veröffentlichte er mit „John Wesley Harding“ und „Nashville Skyline“ zwei meiner absoluten Lieblings-Bob-Dylan-Alben. Natürlich war damals der Aufschrei gross. Country! Why not, meint der Schreibende. Rock konnte Bob Dylan schliesslich auch und Folk und Country sind, wenn auch sicher nicht das Gleiche – so doch viel verwandter als mancher denken mag. Soll man sagen, in der Schweiz sind die beiden Musikstile über Kreuz bezeichnet? Ländler=“V/Folksmusik“, Volksmusik=Schlager=Country=Land.
Ist alles nicht so klar und muss auch nicht immer faktisch aufgedröselt werden. Interessant ist auf jeden Fall, dass es im angelsächsischen Raum keinen eigentlichen Schlager gibt. Gut, es gibt zum Beispiel Barryschleiming wie Barry Manilow („Mandy“), Barry White (Schmalz-Soul, das ganze OEuvre) oder Barry Gibb (Bee Gees).
Bei der amerikanischen (ursprünglich ja irischen) Volksmusik gibt es schon ein paar (nicht immer ganz ernst gemeinte) Anhaltspunkte, um zwischen Folk und Country zu unterscheiden. Aber zuerst noch: Das heutige Nashville Country und Western Big Business hat mit dem Country aus den 40er-Jahren (zum Beispiel) nichts zu tun. Die heutigen Megaseller, die Namen nehme ich weder in den Mund- noch in die Feder und haue sie auch nicht in die Tasten, würden 10 Botox-Sitzungen sausen lassen, um nur einen Song wie Hank Williams schreiben zu können. Nicht, dass man mich komplett falsch versteht. Es gibt auch heute noch nicht-verlogene Country-Artisten – einer davon ist Willie Nelson. Also, die Unterschiede: Country hat häufig einen gezogenen „Twang“ auf der Gitarre und setzt gerne die Lap Steel Guitar ein, obwohl die doch irgendwie nach Hawaii gehört. CountrysängerInnen tragen Cowboyhüte und Westernstiefel – FolksängerInnen tragen ganz viele verschiedene Hüte und gerne megacomfy Indianermokassins. CountrysängerInnen singen immer mit einem „southern accent“ unabhängig davon, wo sie herkommen – FolksängerInnen tönen, als kämen sie irgendwoher her, aber ganz, ganz sicher nicht aus dem Süden. FolksängerInnen sind gerne stoned – CountrysängerInnen sind viel lieber besoffen. CountrysängerInnen haben aufgedonnerte Frisuren – FolksängerInnen haben ungewaschenes Haar. FolksängerInnen kämpfen für soziale Gerechtigkeit – Countrysänger kämpfen einfach. Und (…nun reicht es aber auch) FolksängerInnen klagen an, dass Ihre Nation Kriege anzettelt – Countrysänger fragen „wo ist der nächste Krieg“.
Zurück zu Bob Dylans hypothetischer Eifersucht respektive zu seiner Öffnung gegenüber „Country“. Denn jetzt taucht des Schreibenden grosser Superheld unter den Songwritern langsam zwischen den Marihuanaschwaden der frühen Siebzigerjahre auf. Bob Dylan bekannte in einer seiner ganz seltenen persönlichen Statements folgendes (eifersüchtig auf eine Fähigkeit ?): „I wish, I could write a song like John Prine“! Tja, meine Damen und Herren, das ist mal eine Aussage. Oder Ansage. Verlustangst seinen GSoA-Titel (Greatest Songwriter of All) zu verlieren? Oder ganz einfach nur ehrliche, kollegiale Anerkennung?! Wohl eher. Dylan weiter: “Prine’s stuff is pure Proustian existentialism. Midwestern mindtrips“. Es ergibt keinen Sinn, die Kunst von John Prine lange zu beschreiben. Man muss sie hören, fühlen und am besten: erleben. Erleben im Sinne, dass man in seine Kurzgeschichten über die Höhen (kommen immer wieder vor) und Tiefen (lauern an jeder Ecke) der „kleinen Frau“ und des „kleinen Mannes“ eintaucht und mitgeht. Ich muss es zugeben, dieser Mann rührt mich zu Tränen des Mitgefühls und der Freude gleichzeitig. John Prine war ein unglaublich ehrlicher Mann und ein grosser Humanist. Und sein Schalk ist legendär. Was für ein Typ. Mal Folk, mal Country, mal beides. Aber auch Blues und Rock. Und man versteht jede Zeile! Ja, grosser Fan trifft hier aus meiner Warte zu.

John Prine ist vor genau 2 Jahren mit 74 verstorben. SARS-CoV-2-Infektion. Kurz vor seinem Tod schrieb er im Lied „When I get to heaven“, was er zu tun gedenke, wenn er „dort oben“ ankommt: „Erst bestelle ich mir einen Cocktail – Wodka mit etwas Ginger Ale. Dann küsse ich ein Mädchen auf einem Rummelplatz-Fahrgeschäft und dann rauche ich eine neun Meilen lange Zigarette“.
Ich fange gleich wieder an zu weinen. Insbesondere wegen des Mädchens und dem Gefühl der Rummelplätze, das sich doch bei vielen von uns als Erinnerung an magische Momente der Jugend in die Seele gebrannt hat. Und lache Tränen wegen der ziemlich langen Zigarette. John Prine hatte längere Zeit vor seinem Tod mit dem Rauchen aufgehört. Musste.

Für den Start durch das menschlichste Universum im Showbusiness:

John Prine – John Prine (1971)

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