Analoge Memes

Um 1988 hatte ich einen kleinen Job bei Radio Schweiz International SRI: An ein paar Abenden pro Woche hütete ich in Bern ein Büro und hatte bisweilen gesendete französische oder deutsche Radioberichte als Texte aufzuschreiben: Transkriptionen machen halt.
Entsprechend hatte ich nicht immer zu tun und Gelegenheit, die zahlreichen Zeitungen bei SRI zu studieren.

Dabei fielen mir manchmal Fotos besonders ins Auge – und weil da noch ein Kopierer stand und ich mir Gedanken machen konnte, entstanden Fotokopien: teils angeschrieben, teils verfremdet, teils übereinandergelagert.

Das seien Memes, meinten letzthin meine Kinder: Analoge Memes sozusagen. Nachfolgend zwei internationale und ein paar nationale, die ich allesamt kommentiere, damit auch Junge mitkommen können…

1988 wurde François Mitterand als Präsident Frankreichs vom Stimmvolk bestätigt. Als Sozialist stand Mitterand für eine Partei, die in ihrem Logo eine Rose in einer Faust führt – für mich naheliegend zu schreiben, Mitterand habe triumphal zwei Rosen zerquetscht.
Daniel Ortega, mittlerweile zusammen mit seiner Frau ein Diktatorenpaar, galt in den 1980ern als Hoffnungsträger für die freie Welt, vertrieb er doch mit den Sandinisten Anastasio Somoza, einen Diktator alter Schule.
Ortega, der sich seinerzeit auch im Victoria-Jungfrau bedienen und dabei von einem hiesigen Nicaragua-Aktivisten chauffieren liess (inzwischen ein Interlakner Polit-Doyen), war weiland eng mit Fidel Castro.
Der Reim, den ich mir darauf machte, dreht sich einerseits um Che Guevara, der niemals Diktator wurde, sondern Freiheitskämpfer blieb und im bolovianischen Urwald das Leben liess im Zuge hoffnungsloser Befreiungskriege. Andererseits bedeutet Che auch einfach „“he du“, was ich weiss, weil ich als Kind knapp zwei Jahre lang in Argentinien lebte – und zwar wenige Kilometer von dem Ort in der Provinz Misiones entfernt, wo Che Guevara als Jugendlicher mit seiner Familie gelebt hatte.
„Verdad“ schliesslich heisst Wahrheit, steht aber auch für „wirklich?!“, wie ich als kleiner ehemaliger Argentinier weiss: Das Meme ist mithin hierzuberge nicht ganz einfach zu verstehen. Si comprendes – es ist tragisch-komisch.
Elisabeth Kopp, hervorragende Juristin und erste Bundesrätin der Schweizer Geschichte, hatte nicht die Chuzpe, ein leicht anrüchiges Telefonat mit ihrem Mann, einem beschlagenen Juristen, à la Kohl auszusitzen oder à la Trump zu verdrehen.
Vielmehr trat sie Anfang 1989 zurück, „wegen einer Geldwäsche-Affäre um ihren Mann“, wie Google weiss.
Ich sah damals dieses Bild und schrieb dazu in Französische: „durchschaut?“, um die Frage zu stellen, wer und was eigentlich wirklich durchschaut ist.
Otto Stich war Coop-Kader, Bundesrat, Sozialdemokrat und lange Jahre Finanzminister. Das Meme spricht für sich, ich habe es mittels zweier Fotokopien überblendet: mit der Faust und dem Finger und dem einen Auge in der Mitte. Ich finde nach wie vor, dass es passt.
Obwohl der Mann rechts als Bundesrat Affären abgeliefert hat, die keine Frau politisch überstanden hätte, meldet er sich nach wie vor ab und zu staatsmännisch zu Wort – däne ghört d‘Wält.
Das Bild ist mir aufgefallen, die Worte dazu lagen nahe: Wer wohin schaut, wer was tut, wer welche Rolle, Funktion und Bedeutung hat im wirklichen Leben und im mächtigen Staate. Ich finde, das passt immer noch.

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