Vogellisi: vom Umschreiben der Geschichte

Wenn es darum gehe, „irgendetwas Weiteres zum berühmtesten Lisi des Landes zu sagen, geraten selbst alteingesessene Adelbodner ins Stocken“, behauptete kürzlich der „Berner Oberländer“. Er könnte, sollte, müsste es besser wissen.
Aber einerseits ist das Blatt aus den Händen von freien Oberländer Maurern längst in den Schoss eines Zürcher Medienkonzernleins gefallen, aus dem mir schon vor Jahren entgegenschallte, man habe gar keine Zeit zum Recherchieren, sondern müsse Geschichten liefern.
Mithin zielen nur noch Frau Weber und Herr Gossweiler aus dem Berner Oberland leidlich aufs ganze Berner Oberland, dies freilich mit fremdem Papier aus fernen Druckereien.
Andererseits ist die Ignoranz des Berner Oberländers aber auch deshalb verständlich, weil die Massenmedien hierzuberge keinen Journalismus betreiben, sondern vermeintlichen Eliten und unsicheren Inseratezahlern als willfährige Transmissionsriemen dienen (journalistische Grundtechnik ist eigentlich, aus einer grundsätzlich kritischen Warte Positionen durch das Einnehmen von Gegenpositionen abzuklopfen – ein klassisches Beispiel hier).

Nevada-Areal: Ursprung des Vogellisi-Liedes.

Nun sei gewiss nicht auf der schreibenden Zunft herumgehackt: Zum einen gehörte ich selbst dazu, zum anderen haben diese Zeitungsleute genug zu leiden, zumal sie ein längst schon tödlich von neuen Medien getroffenes Pferd irgendwie reiten sollen – dazu mehr hier.

Aber der guten Ordnung halber sei doch festgehalten, dass es durchaus Adelbodnerinnen und Adelbodner gibt, die sich an die wirkliche Geschichte des Gassenhauers vom Vogellisi erinnern.

Entstanden ist das Lied in der touristischen, sportlichen und sexuellen Aufbruchstimmung nach dem 2. Weltkrieg. Geschrieben hat es demnach das „Duo Maissen„, Paul und Bert aus Thun, die in Berner Oberländer Ausgehlokalen aufspielten – und zwar noch bevor die Alten Taverne in den frühen 1960er Jahren von Architekt Adolf Ritschard für den Nevada-Hotelier Jakob Emil Oestreich aus verschiedenen Simmentaler Häusern zusammengesetzt, nach Adelboden gezügelt und erfolgreich als Ausgehlokal positioniert wurde. Die Alte Taverne entwickelte sich, ähnlich wie die Heimwehfluh in Interlaken mit Schlager- und Jodlersänger Peter Hinnen, zum Schunkellokal vom Feinsten – Wysel Gyr festete mit dem Schweizer Fernsehen auch da.

Als die Alte Taverne noch nicht stand, spielte das Duo Maissen nun unter anderem in der Bar des Palace Nevada, und den Musikern soll immer wieder eine als leichtlebig geltende Fotografin begegnet sein. Sie war bei einem der beiden renommierten Adelbodner Fotohäuser beschäftigt, lichtete das Partyvolk ab und bot Abzüge feil – eine damals populäre Praxis. Interessanterweise soll das Lied nun nicht in Adelboden entstanden sein, sondern im Gstaad: Dort sei die Fotografin bei der Arbeit gewesen, und als das Duo Maissen, das ebenfalls an der Arbeit war, die Frau gesehen habe, sei spontan der Song entstanden.

Vogellisi war mithin nicht nur Schunkellied, sondern auch sexistische Anmache notgeiler Mitfünfziger – weninumewüsstwodslisizvoglewär. Richtig populär dürfte das Lied freilich erst nach 1960 geworden sein. Denn just in dem Jahr kam in Adelboden ein Mädchen zur Welt, das auf den Namen Elisabeth Vogel getauft wurde – und die Eltern waren zwar sehr musikalisch, dürften aber kaum einen Bezug zu dem anzüglichen Lied im Sinn gehabt haben.

Diese Ursprünge und Zusammenhänge sind Adelbodner Gemeingut, aber natürlich hört mann das nicht so gern. Insofern bietet die Umdeutung der Geschichte des Liedes auch ausgezeichnetes Anschauungsmaterial auf dem Weg zu dem, was unter anderem George Orwell in 1984 auf eine literarische Spitze getrieben hat: Um eine neue Wahrheit zu schaffen, braucht es nur eine neue, leidlich eingängige Geschichte sowie genügend Leute, die diese neue Geschichte hören, verbreiten und mit dem Brustton der Überzeugung wider und wieder wiederholen.

Beim Vogellisi ist das harmlos und amüsant, in schwerwiegenderen Fällen ist es schrecklich beunruhigend, zumal Lügen durch Wiederholung an Gewicht gewinnen, während die Wahrheit durchs Kleinreden tatsächlich kleiner wird – Typen wie Trump oder Putin beweisen es zurzeit schlagend, genauso wie Typen wie Merkel oder Sommaruga auf der anderen Seite.

Der wilde Strubel und die dunklen Schenkel der Engstlige, Fruchtbarkeitsgöttin der Kelten.

Zum Schluss noch dies: Der Wildstrubel ist der Schneeberg, der das Tal von Adelboden leuchtend abschliesst, und die Engstligen ist der Bach, der vor diesem Strubel lautrauschend über die dunklen Felsen zwischen Fitzer und Luser herabstürzt.
Der Name des Baches leitet sich dabei von einer keltischen Fruchtbarkeitsgöttin ab, während der wilde Strubel für sich selbst spricht – im Strubelpeter klingt der strublige Kopf mit, u-n-ich struble dich de oppa.

Spät in meiner Pubertät dürfte es gewesen sein, als es mir nach Abertausenden von Blicken zum Engstligfall und zum Strubel buchstäblich wie Schuppen von den Augen fiel: Die dunklen Felsen sind die weit gespreizten Beine dieser Fruchtbarkeitsgöttin Engstilge, der Wasserfall im Schritt spricht für sich, und darüber leuchtet wild und ärdeschön ihr Strubel.
Dass sich im Angesicht dieses Bildes, das bereits in heidnischer Zeit geprägt wurde, eine legendär hohe Dichte an Freikirchen ergibt, die vorab am Sexuellen leiden und es verteufeln, kann da nicht verwundern – dieser obszönschönen landschaftlichen Geste gehört etwas entgegengehalten!

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