Der Anker versinkt – Abgesang auf eine Epoche

Hochwasser 2005: Anker wird evakuiert

Und die Worte kommen in den Medien daher, als stehe niemand dahinter: Nie in meinen gut 30 Jahren Journalismus habe ich von mir geschrieben – das gehört sich einerseits einfach nicht, und andererseits schafft das Fehlen der Person eine gewisse, wenn auch vermeintliche Distanz.

Als Jeannette und René im Anker mehr oder weniger laut darüber übers Aufhören nachzudenken begannen, konnte ich darüber nicht schreiben beim nationalen gastgewerblichen Blatt, für das ich fast ein Vierteljahrhundert lang gearbeitet habe: Es war mir zu persönlich, ging mir zu nahe.

Denn natürlich stehen hinter jedem Medienschaffen Menschen. Mittlerweile ist es ja populär, als Person vorzukommen in Medienerzeugnissen und damit vermeintlich Distanz zu verlieren. Verloren geht damit aber auch Objektivität – bis nicht mehr der journalistische Gegenstand zählt, sondern die vermittelnde Person.

Als Teenager habe ich den Anker zum ersten Mal betreten – wohl um 1979, als Jeannette und René im Anker begannen und ich mich als Adelbodner am Gymnasium Interlaken schwertat. Stammgast wurde ich damals im Anker nicht, zu viel Respekt, zu wenig Geld, zu wenig Zeit pendelnd zwischen Interlaken und Adelboden und später nach Bern.

Erst 1989 zog ich zur Liebe meines Lebens aufs Bödeli – und bin dort geblieben bis heute.
Da wurde ich dann wohl eine Art Stammgast, zurecht etwas beargwöhnt als Journalist, auch etwas schräg angesehen als Bergler vom Adelboden.
Mit Hanery habe ich bisweilen zusammengesessen und mit Polo, über Hanery schrieb ich im «Facts» einen Artikel, über den sich Jeannette zurecht ärgerte – die Zürcher Redaktion griff in meinen Text ein; das taten auch andere, deshalb war ich später ganz zufrieden bei meinem Branchenblatt, wo mir niemand am Zeug flickte.

Nachdem meine Liebste im Spital Interlaken unsere Söhne zur Welt gebracht hatte, ging ich jeweils in den Anker und stiess darauf an: beim ersten Sohn allein, beim zweiten Sohn zusammen mit dem kaum dreijährigen Erstgeborenen – viele Familienfeste feierten wir in der Folge hier. Vater Ammann, der meist am dritten Tisch beim Fenster sass und immer einen tadellosen Eindruck machte, mochte meinen Älteren mit seinem offenen Wesen und den goldenen Locken – damals hatte der Anker auch morgens geöffnet, und natürlich wurde geraucht.

Die Raucherwaren besorgte ich mir anderweitig, der Anker war mir eine gute Stube, ich durfte gegen gutes Essen für Jeannette und René Menükarten gestalten, es war schon in den verrauchten Zeiten ein feines Speiselokal – und der weltweit beste Konzertschuppen mit schlechter Akustik.
Die Live-Aufnahme der Stilz habe ich verpasst, unvergesslich bleiben mir etwa Edoardo Bennato mit seinen Streichern, Shaggy gleich mehrmals, schliesslich Jimmy Cliff. Dieser Gig 2014 war irgendwie ein Ende, das wir mehr erahnten als wissen konnten, und irgendwie war ich ganz klein mitten darin.
An der Bar beim Eingang, wo ich schon länger meinen liebsten Platz hatte, standen an diesem Gig zufällig auch Hanery und Polo. Und als Polo sagte, Jimmy Cliff singe falsch, konnte ich meine Klappe nicht halten und platzte heraus: «U de Du?».
Wir lachten herzlich, Polo grummelte nur ein bisschen, ich vermisse sie.

Und ich vermisse Jeannette und René: Es schien eine glückliche Lösung, als Regula und Tom von nebenan den Anker kauften und sich für den Betrieb ein Paar fand fast wie sintemalen Jeannette und René. Aber da ist nicht diese Souveränität, sie kann da nicht sein: hier René, der im Bären am Marktplatz das Kochen von der Pike auf gelernt und den Umgang mit Rauschmitteln und Berauschten im Griff hatte; und da Jeannette, Tochter von Walter Ammann Senior und Schwester nicht nur von Hanery, die sich ja keineswegs nur um den Anker kümmerte, sondern auch kleine und grosse Kinder erzog und begleitete und stützte – eine soziale Institution, ich muss fast weinen.

Inzwischen ist da nur noch Fassade, der Anker versinkt, es ist wie ein Trennungsschmerz, ein mehrfacher, auch und gerade intern. Dübis werden kaum lange zuschauen können, aber ob ein zweiter Versuch gelingt, scheint fraglich: Die goldene Epoche des goldenen Ankers ist untrennbar mit Jeannette und René Sutter-Ammanns verbunden und also vorbei – partir, c’est toujours mourir un peu.

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